Catherine und Greg traten auf Bora Bora ihre Heimreise in die USA an und Laurent und ich segelten zurück nach Huahine, um SOLEJA (Laurent’s Segelboot) dort für unsere gro?e Reise vorzubereiten. Wir würden von Huahine insgesamt 2590 Seemeilen – das entspricht 4800 Kilometern – nach Neukaledonien segeln und unterwegs Palmerston in den Cook-Inseln, Niue, Tonga und Fidschi besuchen. Mit den Aufenthalten auf diesen Inseln waren wir insgesamt zwei Monate unterwegs.

Bevor wir aufbrechen konnten, standen noch einige Bootsreparaturen an. In der Lagune von Bora Bora rissen wir ein Loch in die Genua, als der Wind bei der Umrundung des zentralen Felsens pl?tzlich die Richtung wechselte und die Genua gegen eine Saling peitschte. Zu einem anderen Zeitpunkt hatten wir ein Blatt des Windrades verloren und irgendwo schien es ein Leck zu geben. Das bemerkten wir daran, dass die Bilgenpumpe st?ndig ansprang und wir daraufhin Salzwasser in der Bilge fanden. Nicht gut! Au?erdem mussten wir den Wassertank auffüllen und uns mit Vorr?ten eindecken. Für all diese Vorhaben ankerten wir direkt vor Fare, der einzigen Stadt auf Huahine, wo es auch den einzigen Supermarkt der Insel gab. Au?erdem hatte Fare einen kleinen Yachtclub mit einer Bar direkt am Wasser, wo wir regelm??ig mit einem Drink in der Hand den Sonnenuntergang über der Nachbarinsel Tahaa genossen. Wir wechselten die Genua, ersetzten das Blatt am Windrad und fanden und behoben das Leck. Glücklicherweise war es nur ein Loch im Schlauch der Salzwasserpumpe unter der Spüle und kein Loch im Bootsrumpf. Nachdem SOLEJA hochseetauglich gemacht und voll mit Vorr?ten und Wasser war, mussten wir noch auf guten Wind warten. Und so wurde aus der einen geplanten Woche auf Huahine zwei Wochen, bis wir am 18.09.2019 endlich die Segel in Richtung Westen setzten.


Für die 710 Seemeilen nach Palmerston brauchten wir 6 Tage und wir hatten wettertechnisch alles dabei: von absoluter Windstille bis Wind mit einer Geschwindigkeit um 28-34 Knoten (50-60 km/h, entsprechend Windst?rke 7 nach Beaufort). Das lag daran, dass westlich von Franz?sisch-Polynesien die SPCZ (South Pacific Convergence Zone) beginnt, eine tropische Konvergenzzone, wo Winde aus zwei Richtungen aufeinanderprallen. Das macht das Wetter sehr unbest?ndig und bringt kurzzeitige Unwetter mit Sturmb?en. Wir hatten uns extra für die Reise einen WLAN-Router besorgt, der über Satellit eine Internetverbindung auch auf hoher See herstellen kann und beschafften uns darüber alle paar Stunden das aktuelle Wetter. Dieser „steife Wind“ traf uns aber trotzdem unvorbereitet mitten in der Nacht. Das Schlimmste daran waren die B?en bis über 40 Knoten (75 km/h) und die knapp 4 Meter hohen Wellen. Nachts um 02:30 Uhr mussten wir also das Gro?segel reffen und die Genua gegen eine Sturmfock tauschen. Ich stand dafür am Steuer und lenkte das Boot in den Wind und Laurent krabbelte angeleint an Deck zu den Segeln. Dabei schaukelte das Boot wie verrückt und st?ndig erwischte ihn eine der riesigen Wellen. Dummerweise hatten wir vor unserem Aufbruch den Film „Adrift“ gesehen. Dieser Film beruht auf einer wahren Begebenheit und handelt von einer jungen Frau, die auf Tahiti (!) einen 11 Jahre ?lteren (!) Segler kennen lernt und mit ihm über den Pazifik (!) in die USA segelt. Unterwegs kommen sie in einen Sturm, er wird von Bord gespült und sie segelt allein mit einem winzigen improvisierten Segelfetzen weiter und kommt nach 41 Tagen auf Hawaii an. Als ich Laurent im Sturm auf dem Deck herumwanken sah, dachte ich: „Okay, das war’s, Anna. Das hast du nun von deiner Abenteuerlust. Jetzt wird er von Bord gefegt und du stirbst alleine auf einem Segelboot mitten im Ozean.“ Er wurde nicht von Bord gefegt. Aber ich konnte noch die ganze Nacht vor Angst kein Auge zutun. Und wenn ich mal wegged?mmert bin, wurde ich nach ein paar Minuten wieder von dem ohrenbet?ubendem Krachen einer Welle gegen den Schiffsrumpf geweckt. Laurent hat friedlich geschlummert. Sp?ter hat er mir verraten, dass er auch Angst hatte. Gut, dass er das in dieser Nacht vor mir verborgen hat! Der starke Wind hielt für 36 Stunden an. Aber die Wellen wurden irgendwann kleiner und mit gerefftem Segel und Sturmfock segelt es sich (den Umst?nden entsprechend) relativ ruhig. Und man gew?hnt sich auch an das Knallen der Wellen gegen den Rumpf, wenn man nach Dutzenden davon kapiert hat, dass sie das Boot nicht umhauen. Ansonsten war die Fahrt relativ ereignislos. Wir verbrachten die Zeit mit Lesen, Filmschauen und Essen. Am dritten Tag der ?berfahrt fingen wir unseren bzw. meinen ersten Fisch, einen Mahi-Mahi. Zuerst war ich ganz aufgeregt, auch weil es so ein sch?ner bunter Fisch war. Faszinierender- und traurigerweise verblassen die schillernden Farben, sobald er aus dem Wasser geholt wird. Vor dem Verblassen kann man aber ein regelrechtes Farbspektakel beobachten! Als es dann ans Ausnehmen des Mahi-Mahis ging, meldete sich bei dem Fischgeruch mein wahrscheinlich doch noch nicht ganz seetauglicher Magen. Ich lag also malade unter Deck und der arme Laurent musste die ganze Arbeit allein machen. Danach hielt sich meine Aufregung bezüglich des Angelns in Grenzen und ich war nicht gerade begeistert, wenn es an einer von Laurent’s vier Angelschnuren zurrte. Kurz vor Ankunft in Palmerston fingen wir den ersten Thunfisch, der im Vergleich zu den sp?ter gefangenen Thunfischen ziemlich klein war. Wir freuten uns trotzdem und a?en das frischste Sashimi der Welt.



Palmerston ist ein Atoll mitten im Pazifik. Auf dem die Lagune ringf?rmig umschlie?enden Korallenriff sind mehrere kleine Sandinseln aufgelagert, davon ist Palmerston die einzige bewohnte Insel. Das Interessante daran ist, dass alle 35 Inselbewohner miteinander verwandt sind. Sie stammen n?mlich alle von dem Engl?nder William Marsters ab, der 1863 nach Palmerston kam und 23 Kinder mit seinen drei polynesischen Ehefrauen hatte. Von diesen drei Frauen stammen die bis heute existierenden drei Familien ab. Die aktuellen Familienoberh?upter sind Bob, Bill und Edward. Auf Palmerston gibt es keine Stra?en, keine Gesch?fte, keine Restaurants, keine Bar. Auf dem wei?en Sand stehen nur eine Kirche, eine Schule, eine kleine Krankenstation und seit Neuestem einen Hurrikanbunker. Die zwei Lehrer und die Krankenschwester sind die Einzigen, die nicht mit dem Rest der Inselbewohner verwandt sind. Alle paar Monate kommt ein Versorgungsschiff von Rarotonga, der Hauptinsel der Cook-Inseln, und bringt Lebensmittel und alles, was man sonst so braucht. Auf dem sandigen Boden der Insel w?chst nicht viel, die Bewohner bauen nur etwas Taro und Sü?kartoffeln an. Ansonsten wachsen Brotfruchtb?ume und unendlich viele Kokosnusspalmen. Für alles andere sind sie vom Versorgungsschiff abh?ngig. Deswegen ist es zur Tradition geworden, die vorbeikommenden Segelboote zu bewirten im Austausch für Lebensmittel und dringend ben?tigte Gegenst?nde wie Werkzeuge, Angelzubeh?r, Tabak oder Papier und Stifte für die Schulkinder.



Als wir uns Palmerston n?herten, kam uns ein kleines Boot mit r?hrendem Au?enbordmotor entgegen gerast. Darin sa? Andrew Marsters, Sohn von Bob Marsters, der unser Gastgeber sein sollte. Andrew führte uns zu einer Mooring Boje direkt hinter dem Riff, half uns beim Festmachen und nahm uns, nachdem die Einreiseformalit?ten gekl?rt waren, in seinem Boot mit zur Insel. Der Weg über das Riff ist n?mlich heikel und einige Segler haben dort schon ihr Dinghy (und das Riff) besch?digt. Deswegen wird man von seinem Gastgeber stets zur Insel und zurück zum Segelboot gebracht. Ich hatte das Gefühl, dass Andrew seine Zickzack-Route um die Korallenbl?cke herum auch mit geschlossenen Augen h?tte fahren k?nnen. Beim N?herkommen an den Strand offenbarte sich Palmerston als eine (weitere) traumhaft sch?ne Südseeinsel: wei?er Sand, Palmen und unter dem Boot sahen wir Papageienfische und Stachelrochen durch das glasklare Wasser flitzen. Wir wurden zum Haus der Familie geführt, bestehend aus einer Wellblechhütte und einem ebenfalls mit Wellblech bedeckten Unterstand, unter dem vor der Sonne geschützt gegessen und eigentlich der ganze Tag verbracht wurde. Wir lernten den Rest der Familie kennen: den Patriarchen Bob, seine Ehefrau und neben Andrew drei weitere Kinder. Andrew ?ffnete mit einer Machete Kokosnüsse zum Trinken und wir lie?en uns mit einer Kokosnuss in der Hand auf Plastikstühlen nieder und plauderten. Unter den Palmen liefen Hühner herum und in einem Verschlag stand ein dickes Schwein. Au?er uns waren noch die zwei Schweden Gustav und Bj?rn mit ihrem Segelboot S/V Ronja zu Gast. Nach kurzer Zeit wurde ein reichhaltiges Mittagessen aus Fisch in Kokosnussso?e, gebratenem H?hnchen und Taro serviert. Ein Mahl aus Proteinen und Kohlenhydraten. Auf Gemüse wird in der polynesischen Küche nicht viel Wert gelegt. „Esst, esst! Ihr seid viel zu dünn! Daran werden wir in den n?chsten Tagen schon arbeiten“, sagte Bob. Ein Prinzip, dass auf Palmerston tats?chlich gelebt wird. Die meisten Inselbewohner sind ziemlich fettleibig.


Wir erfuhren von Bob, dass die meisten Bewohner von Palmerston ihr Geld mit dem Verkauf von Papageienfischen verdienten. Ungef?hr einen Monat, bevor das Versorgungsschiff kommen würde, gingen die Inselbewohner t?glich fischen, um dann 1 bis 2 Tonnen tiefgekühlte Papageienfisch-Filets mit dem Schiff nach Rarotonga liefern zu lassen. Wir baten darum, bei der n?chsten Gelegenheit beim Fischen mitkommen zu dürfen, was erfreut von Bob aufgenommen wurde. „Kommt die Lady auch mit?“, fragte er. Die Frage war an Laurent gerichtet, was mich kurz ?rgerte. „Klar!“, erwiderte ich, und so fanden wir uns kurze Zeit sp?ter mit Andrew und den beiden Schweden auf dem Riff wieder. Auch sp?ter auf Tonga und Fidschi machte ich die Erfahrung, dass es eine klassische Rollenverteilung zwischen M?nnern und Frauen gibt und dass die M?nner definitiv das Sagen in der Familie haben. Auf Palmerston war die Familienstruktur aber besonders patriarchalisch. Bob sa? die meiste Zeit des Tages in seinem Plastikstuhl, rauchte, lie? sich von seiner Frau und den Kindern bedienen und bellte ihnen Befehle zu. Die Ehefrau rührte ihm sogar die Milch in den Kaffee! Naja, jedenfalls lie?en sie mich nach einigen verwirrten Blicken mit zum Fischen kommen. Dazu liefen wir zu Fu? auf dem Riff durch das hüfthohe Wasser und spannten ein Netz im Halbkreis auf. Dann liefen wir aus verschiedenen Richtungen auf das Netz zu und schlugen dabei mit Holzst?ben auf die Wasseroberfl?che, um die Fische in das Netz zu treiben. Anschlie?end liefen wir das Netz entlang und t?teten die Papageienfische mit unseren blo?en H?nden, indem wir ihnen das Genick brachen. Bj?rn fragte besorgt, ob die Fische im Netz nicht Haie anlocken würden. „Nee,“ entgegnete Andrew, „wenn, dann schnappen die sich manchmal die Schnur mit den toten Fischen dran“. Nachdem wir sie aus dem Netz geborgen hatten, f?delten wir die toten Fische n?mlich wie eine groteske Perlenkette auf eine Angelschnur auf. Und wer zerrte die Schnur mit den dutzenden toten Fischen durch’s Wasser? Die Lady! Das T?ten der Fische wurde n?mlich als M?nneraufgabe betrachtet… Um zu beweisen, dass ich das auch fertig bringen würde und mich nicht ekelte, drückte ich Gustav die Fischschnur in die Hand und machte mich an einem der zappelnden Papageienfische im Netz zu schaffen. Die Viecher waren aber so riesig, dass ich sie kaum mit beiden H?nden umgreifen konnte. Und einen glitschigen, zappelnden, kiloschweren Fisch mit einer Hand festzuhalten und mit der anderen Hand den Kopf 90° nach hinten zu schnipsen, gestaltete sich fast als unm?glich. Mit viel Mühe, krampfenden Fingern und unter Zuhilfenahme meines Knies schaffte ich es aber doch. Insgesamt erlegte ich so drei Fische. Aber dann taten mir die H?nde so weh, dass ich doch wieder ergeben die Schnur an mich nahm. Laurent, Gustav und Bj?rn hatten aber auch ihre Schwierigkeiten. Sie brauchten mehrere Anl?ufe und verloren den ein oder anderen Papageienfisch, wenn er ihnen aus den H?nden flutschte. Andrew lie? es so einfach aussehen! Er hatte bis zu drei Fische auf einmal in den H?nden und brach ihnen das Genick, als würde er Grashalme durchknicken. Er amüsierte sich k?stlich über unsere Mühen. Das Ausnehmen und Filetieren der Fische zurück am Strand war dann Familienaufgabe.





Palmerston ist winzig. In 30 Minuten entspannten Gehens hat man die Insel komplett umrundet. Bob’s jüngste Kinder, die 8-j?hrige Tochter und der 6-j?hrige Sohn, führten Laurent und mich über die Insel. Dabei fragten sie uns L?cher über unser Leben in den Bauch und zeigten stolz ihre Schule und die Krankenstation. In der Krankenstation trafen wir die Krankenschwester aus Papua-Neuguinea. Die Kinder berichteten sofort, dass ich ?rztin w?re. Daraufhin zeigte mir die Krankenschwester schüchtern ihr Büro und das Behandlungszimmer. Mir war das ziemlich unangenehm. Neben der übertriebenen Ehrfurcht, die mir als ?rztin schon in Asien und Südamerika ?fter entgegen gebracht wurde, hatte ich das Gefühl, dass hier zus?tzlich die ?berzeugung dazu kam, dass ich mit meiner wei?en Hautfarbe etwas Besonderes w?re. Es war gerade eine Patientin im Behandlungszimmer und die Krankenschwester schilderte mir den Fall, als w?re ich ihre Vorgesetzte und erwartete, dass ich ihre bereits getroffenen Entscheidungen absegnete. Diese mir unfreiwillig zugeschriebene Autorit?t machte mich traurig. Leider ist immer noch so, dass sich weltweit viele ethnische Gruppen den Menschen mit wei?er Hautfarbe untergeordnet und weniger wert fühlen. Ein Ph?nomen, an dem wir Europ?er auch heute noch mit schuld sind. Laurent und ich wurden überall sehr warm empfangen. Die Leute winkten und kamen aus ihren H?usern, wenn sie uns kommen sahen, stellten sich vor (alle trugen den Nachnamen „Marsters“) und luden uns in ihre H?user ein. Und so tranken wir hier eine Cola und a?en dort ein Eis, w?hrend wir die Insel und deren Bewohner kennen lernten. Auch der Besuch des kleinen Friedhofs hinter der Kirche war interessant, denn auf fast allen Grabsteinen war der Name „Marsters“ zu lesen. Eine Entdeckung, die vor allem Laurent schockierte, war das Wrack einer Segelyacht zwischen den Palmen. Ein Fischer nutzte das Wrack nun als Unterstand für seine Fischernetze und Bootswerkzeuge. Er erz?hlte uns, dass die Yacht einem Segler geh?rt hatte, der vor 10 Jahren nicht auf die Hurrikanwarnungen der Inselbewohner h?ren wollte und deswegen sein Boot nicht ausreichend sicherte, sodass es vom Wind über das Korallenriff auf den Strand getrieben wurde. Palmerston wurde in der Vergangenheit ?fter von Hurrikans getroffen. Der letzte schwere Hurrikan fegte in den 90er Jahren über die Insel und verwüstete sie komplett. Bob erz?hlte uns mit etwas Stolz von dem gro?en Hurrikan aus dem Jahr 1926 zu Zeiten seiner Gro?eltern. Damals wurden alle Geb?ude und alle Kokospalmen von der Insel gefegt und die Bewohner ern?hrten sich monatelang von den im Wasser treibenden Kokosnüssen, da das Versorgungsschiff l?ngere Zeit ausblieb.




Nach vier Tagen ergab sich ein günstiges Wetterfenster und war es an der Zeit weiter zu segeln. Als Dank für die Gastfreundschaft schenkten wir Bob’s Familie Reis, Nudeln, Knoblauch und Kakao für die Kinder. Au?erdem überlie?en wir ihnen Strohhüte, einen Kanister Diesel und einen Angelk?der. Wir machten uns gleichzeitig mit S/V Ronja auf den Weg nach Niue.