Neukaledonien – November 2019

Das Ziel unseres zweimonatigen Segelt?rns war das zu Frankreich geh?rende Neukaledonien. Die Inselgruppe geh?rt wie Fidschi zu Melanesien und die schwarze Urbev?lkerung wird als Kanaken bezeichnet (ja, die hei?en wirklich so). Vier Tage nachdem wir Fidschi verlassen hatten, erreichten wir die Ile des Pins (dt.: Pinien-Insel).

Ile des Pins
Wei?er Sand, türkises Wasser, Palmen und mal was Neues: Nadelb?ume

Als Willkommensgeschenk lie? Neptun uns 30 Seemeilen vor der Küste einen riesigen Gelbflossen-Thunfisch fangen. Natürlich biss der Thunfisch wieder in den frühen Morgenstunden an, doch dieses Mal war der Fang echt aufregend. Wir vermuteten schon, dass es ein riesiger Fisch sein musste, denn Laurent schaffte es nicht, die Angelschnur einzuholen. Die Angel bog sich so derma?en, dass wir Angst hatten, die Angelrute würde brechen oder die Schnur rei?en. Wir waren mit einer Geschwindigkeit von 6,5 Knoten unterwegs und mussten das Boot auf dem offenen Meer anhalten, um unseren Fang heranziehen zu k?nnen. Doch auch dann schafften wir es nicht, den Fisch aus dem Wasser zu heben, weil er noch lebte und sich vehement dagegen wehrte. Und so hielt ich das zappelnde, ca. 50 kg schwere Biest mit Mühe und Not mit dem Fischhaken über der Wasseroberfl?che und Laurent krabbelte mit einem Messer bewaffnet zu ihm herunter und erdolchte in im Meer. Anschlie?end hievten wir ihn mithilfe eines Seils und einer Winde in das Cockpit. Puh, was für eine Aktion! Nach einigen Stunden des Ausnehmens und Filettierens war dann der ganze Kühlschrank voller Thunfisch.

Unser dritter und gr??ter Thunfisch

Der Name Ile des Pins (engl.: pine island) geht auf berühmten englischen Seefahrer James Cook aus dem 18. Jhd. zurück, der für seine drei Pazifikreisen und für die Entdeckung vieler Südseeinseln bekannt ist. Von Neuseeland bis Tahiti, überall gibt es Cook-Buchten und Cook-Seewege und auch die Cookinseln, zu denen Palmerston geh?rt, sind nach ihm benannt. Als er die heutige Ile des Pins entdeckte, fielen ihm die vielen für die Südsee ungew?hnlichen Nadelb?ume auf. F?lschlicherwiese bezeichnete er sie als Pinien, obwohl es sich bei den B?umen um Araukarien handelt. Ich muss zugeben, dass ich nach vier Monaten in der Südsee langsam von wei?en Sandstr?nden, Palmen und türkisem Wasser übers?ttigt war. Dieser Kontrast von Nadelb?umen neben Kokospalmen faszinierte mich dann aber doch wieder. Wir verbrachten einige Tage in der Bucht Baie de Kuto im Süden der Insel. Das Neukaledonische Barriereriff, welches die Hauptinsel Grande Terre und die südlich davon gelegene Ile des Pins umschlie?t, geh?rt zum UNESCO-Weltkulturerbe und ist nach dem australischen Great Barrier Reef das zweitgr??te Doppelbarriereriff der Welt. Besonders auff?llig in der Baie de Kuto waren die vielen Schildkr?ten. Schon auf unserer ersten Schnorcheltour begegneten mir zwei und st?ndig tummelten sie sich um das Boot herum. Mehrmals t?glich h?rten wir das charakteristische Prusten, das eine Schildkr?te ausst??t, wenn sie aus dem Wasser auftaucht, und dann entdeckten wir sie nur wenige Meter vom Boot entfernt. Au?erdem besuchte uns zweimal, jeweils am Morgen, ein Dugong. Wir r?tselten lange, was für ein Tier da um unser Boot herumschwamm. War es ein kleiner Wal? Eine Seekuh? Ein komischer Delphin? Weder noch, es war ein Seeschwein – ein passender Name für dieses skurrile Tier.

Ankunft in der Baie de Kuto
Einer unserer vielen Besucher

In der Nachbarbucht Baie de Kanuméra gab es ein Resort am Strand. Wir freundeten uns mit dem Strandwart an (indem wir ihm ein gro?es Stück Thunfisch schenkten) und durften deswegen jeden Tag in der Strandbar chillen und das WLAN nutzen. Die Kanuméra-Bucht mit dem gro?en Fels in der Mitte gilt als besonders sch?ner Schnorchelort. Auch hier wimmelte es vor bunten Korallen, verschiedensten Rifffischen und Schildkr?ten. Wir hatten besonderes Glück und hatten die Gelegenheit, die Fortpflanzung von Korallen – die sogenannte Korallenblüte – mitzuerleben. Einmal im Jahr, und zwar ein paar N?chte nach dem ersten Vollmond des Sommers, wird das Wasser trüb und an manchen Stellen rosarot. Die Korallenpolypen geben in dieser Zeit gleichzeitig Spermien und Eizellen ab und es findet eine Befruchtung im Wasser statt. Dabei entstehen Larven, die für Tage bis Wochen im Wasser treiben und sich schlie?lich an anderen Stellen ansiedeln. Der Kontrast zwischen dem türkisen und roten Wasser und dem wei?en Sand war wirklich sch?n!

Baie de Kanuméra
Die Korallenblüte – ein seltenes Ph?nomen

Wir liehen uns einen Roller aus und erkundeten einen Tag lang die Insel. Highlight war das Piscine naturelle d’Oro (dt.: natürliches Schwimmbecken). Eigentlich eine Salzwasserbucht, wirkt sie wegen ihrer von Felsen geschützten Lage wie ein Schwimmbecken, in dem man in kristallklarem Wasser schwimmen und schnorcheln kann. Um dorthin zu gelangen, spaziert man durch das badewannenwarme Wasser eines Salzwasserflusses mit wei?em Sand, welcher mit Araukarien ges?umt ist.

Spritztour mit dem Roller. Teile der Insel erinnerten an den australischen Busch.
Ansonsten ist Neukaledonien für seine Araukarien bekannt.
Spaziergang durch einen warmen Salwasserfluss
Letzte Tage am Südsee-Traumstrand

Von der Ile des Pins segelten wir 18 h über Nacht nach Grande Terre zur Hauptstadt Noumea. Hier verbrachte ich nur einen Tag, also habe ich nicht viel von der Stadt gesehen, aber mein erster Eindruck war nicht besonders gut. Es erinnerte mich an meinen ersten Eindruck von Papetee, der Hauptstadt von Tahiti. Auch dort hatte mich die Mischung aus Südsee-Flair und Europa verwirrt. Aber nach vier Monaten in der Südsee, in denen ich verschiedenste Ecken von Polynesien und Melanesien gesehen und vor allem auf Fidschi die traditionelle melanesische Lebensweise kennen gelernt hatte, wirkte diese moderne, funktionelle und sterile Stadt noch falscher auf mich. Auch empfand ich die Stimmung zwischen den Kanaken und den Franzosen als angespannter als zwischen den Polynesiern und Franzosen auf Tahiti.

Die Franzosen nahmen Neukaledonien 1853 in Besitz. Wie die Briten in Australien nutzten die Franzosen die Inselgruppe bis 1922 als Strafkolonie. Im Jahr 1946 wurde Neukaledonien zum ?bersee-Territorium erkl?rt und alle Bewohner erhielten franz?sische Bürgerrechte. Doch die Kanaken wurden gegenüber den Einwanderern sozial benachteiligt, sodass ab den 1960er Jahren eine Unabh?ngigkeitsbewegung entstand. Von 1984 bis 1988 kam es zu Unruhen mit über 70 Toten. Eine Geiselnahme von franz?sischen Polizisten durch kanakische Separatisten im Jahr 1988 wurde durch franz?sische Spezialeinheiten beendet. Im gleichen Jahr wurde entschieden, 1998 ein Unabh?ngigkeitsreferendum abzuhalten, was jedoch nochmals um 20 Jahre verschoben wurde und schlie?lich am 4. November 2018 stattfand. 56,4% der W?hler stimmten gegen eine Unabh?ngigkeit. Allerdings waren unter den 169.000 W?hlern 92.000 nicht-kanakische und 77.000 kanakische W?hler (neben Kanaken und Franzosen besteht die Bev?lkerung Neukaledoniens zu ca. 15% aus Wallisern und Futunern, Tahitianern, Indonesiern und Vietnamesen). Im Süden, wo die meisten Bewohner europ?ischer Abstammung sind, sogenannte Caldoches, überwog die Ablehnung der Unabh?ngigkeit. Dagegen stimmten die W?hler im Norden und auf den kleineren Inseln, wo mehrheitlich Kanaken leben, überwiegend für eine Unabh?ngigkeit. Ich habe mit Laurent oft über die Unabh?ngigkeit der franz?sischen ?berseeterritorien diskutiert und es ist sicher ein komplexes Thema. Er argumentierte im Fall von Neukaledonien mit dem h?heren Lebensstandard durch die Bindung an Frankreich, vor allem in der Bildung und der Gesundheitsversorgung. Erst 2016 wurde ein neues, hochmodernes Krankenhaus in Noumea er?ffnet, mit europ?ischen Darlehen finanziert. Auch wirtschaftlich braucht Neukaledonien europi?ische Unterstützung. Ein Drittel des Bruttoinlandproduktes besteht aus finanziellen Zuschüssen aus Frankreich. Ein bedeutender wirtschaftlicher Zweig ist allerdings der Abbau von Nickel. Die Nickel-Vorkommen in Neukaledonien stellen knapp 9% der Nickel-Reserven weltweit dar und natürlich befinden sich s?mtliche Nickelwerke in der Hand der wei?en Caldoches. Die Unabh?ngigkeitsgegner haben also nicht nur das Wohl der Kanaken im Sinn. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir der kanakische Taxifahrer, der mich zum Flughafen fuhr. Da ich mich auf Franz?sisch von Laurent verabschiedet hatte, dachte er anfangs, ich sei Franz?sin und war ziemlich kühl. Als er dann jedoch erfuhr, dass ich aus Deutschland kam, wechselte sich seine Haltung sofort. Er erz?hlte mir, dass er von einer der Inseln im Norden stammte, wo auch seine Familie lebte. Allerdings g?be es dort keine Jobs. Mit Landwirtschaft k?nne man den Lebensunterhalt nicht verdienen und deswegen lebte er in Noumea und sah seine Familie nur ein paar Mal im Jahr. Der Job als Taxifahrer sei schwer zu bekommen gewesen, den würde er nicht aufgeben, obwohl er es nicht mochte, „arrogante“ Franzosen oder Amerikaner durch die Gegend zu fahren. Er beklagte, dass die Franzosen alle Gesch?fte und Immobilien besitzen würden und dass die jungen Kanaken ihre Stammessprachen verlernen würden. Tats?chlich fand eine Volksz?hlung aus dem Jahr 2004 heraus, dass unter den über 14-j?hrigen Einwohnern 97% Franz?sisch sprechen, lesen und schreiben konnten. 37% konnten eine der ca. 28 Kanak-Sprachen zumindest sprechen (aber nicht unbedingt lesen und schreiben) und 59% hatten keinerlei Kenntnisse einer einheimischen Sprache.

Neukaledonien ist ein wundersch?ner Fleck dieser Erde, doch leider bleibt mir vor allem die angespannte Athmosph?re zwischen den Kanaken und den Caldoches in Erinnerung. Die wei?en Caldoches füllten als Touristen die Resorts auf der Ile des Pins, sa?en in Noumea auf ihren Segelyachten oder amüsierten sich in hippen Kava-Bars. Die Kanaken fand man in eher schlechter bezahlten Jobs oder in gro?en Gruppen aus arbeitslosen jungen M?nnern. Nie wurde ich so freundlich und offen angel?chelt und gegrü?t wie auf den anderen Pazifikinseln.

Am 26. November 2019 flog ich zurück nach Deutschland. Die Reisezeit von 33 h setzte sich zusammen aus 2h 30 min Flug von Noumea nach Brisbane, 14 h 30 min von Brisbane nach Abu Dhabi und 7 h von Abu Dhabi nach Frankfurt plus Transferzeiten. Vom Boot bis zur Haustür meines Elternhauses brauchte ich 44 h. Dabei beanspruchte die Deutsche Bahn 7 h Reisezeit für sich, natürlich inklusive 1 h Versp?tung. Insgesamt war ich 10 Monate und 17 Tage auf Reise gewesen. Der Kontrast bei meiner Rückkehr h?tte nicht gr??er sein k?nnen. Ich verlie? bei 27°C und blauem Himmel mit Sonnenschein die Marina von Noumea mit hunderten Segelbooten und stolperte um 22 Uhr abends im Dunkeln bei (immerhin) 7°C in das Haus meiner Eltern. Zum Glück hatte gerade die Vorweihnachtszeit begonnen, was mir in der kalten und dunklen Zeit wenigstens etwas Trost verschaffte

Fidschi – Oktober/November 2019

Die n?chste Station auf unserem Segelt?rn über den Südpazifik hie? Fidschi. Der Inselstaat Fidschi besteht aus den beiden Hauptinseln Viti Levu und Vanua Levu und 330 kleineren Inseln. Viti Levu mit der Hauptstadt Suva gilt als die modernere und touristischere Insel und Vanua Levu als die ursprünglichere, ruhigere Insel. Unser erstes Ziel war die Stadt Savusavu auf Vanua Levu. Auf der viert?gigen ?berfahrt von Tonga nach Savusavu hatte ich Geburtstag und hatte mir einen Thunfisch gewünscht. Ich war mittlerweile etwas genervt von Laurent’s vier gleichzeitig ausgelegten Angelschnuren. Ein Grund dafür war, dass die Fische üblicherweise in der Morgend?mmerung anbissen, d.h. zwischen 5 und 6 Uhr morgens. Fingen wir einen Fisch, wurden wir also meist noch im Dunkeln vom Zurren der Angelschnur geweckt und mussten dann den riesigen Fisch an Bord zerren. Das anschlie?ende Ausnehmen und Zerteilen dauerte 1 bis 2 Stunden und jedes Mal war das Cockpit danach voller Fischblut und roch auch stundenlang nach dem Putzen noch nach Fisch. So wollte ich meinen Geburtstag nicht beginnen. Ich konnte Laurent aber nicht davon abbringen, seine vier Leinen auszuwerfen und als Kompromiss versprach er mir zu meinem Geburtstag einen Thunfisch zu fangen. Und tats?chlich fingen wir, zwar mit etwas Versp?tung, am (sehr frühen) Morgen nach meinem Geburtstag einen mittelgro?en Gelbflossen-Thunfisch. Die Vorfreude auf frisches Sashimi lie? mich sogar die frühe Morgenstunde vergessen.

Geburtstags-Thunfisch

Fidschi geh?rt, im Gegensatz zu den bisher auf unserer Reise besuchten Pazifikinseln, nicht mehr zu Polynesien, sondern zu Melanesien. Der Begriff beruht auf dem Wort melas (griech.: schwarz), da die zu Melanesien geh?renden Inselgruppen von dunkelh?utigen Menschen besiedelt wurden. Neben der Hauptbev?lkerungsgruppe der Melanesier besteht die fidschianische Bev?lkerung zu knapp 40% aus Indern. Wie viele Inseln im Südpazifik war Fidschi früher britische Kolonie und die britische Kolonialmacht rekrutierte Ende des 19. Jahrhunderts Arbeiter aus Indien. Dieser indische Einfluss war in Savusavu sofort spürbar. Indische Gesch?fte und Restaurants s?umten die Stra?en; Taxifahrer mit Turban fuhren Automodelle, die wir noch nie gesehen hatten; Stra?enverk?ufer verkauften Rotis und exotische indische Sü?igkeiten; auf den M?rkten verstr?mten Gewürze wie Curry, Kurkuma, Kardamom, Kreuzkümmel und Chilli ihren starken Geruch und überall h?rten wir Englisch mit dem markanten indischen Akzent. Ende Oktober markierte das Ende der Segelsaison, da die Hurrikansaison im November beginnen würde. Wir waren deswegen fast die einzigen Segler in Savusavu und leider brachte die beginnende Hurrikansaison viel Regen. Wegen des Regens blieben wir l?nger in Savusavu als geplant, denn die Gew?sser von Fidschi gelten unter Seglern wegen ihrer vielen unerwarteten Korallenbl?cke als gef?hrlich und man sollte m?glichst bei Sonnenlicht segeln, um die Korallen rechtzeitig zu erkennen. Wir fühlten uns aber sehr wohl in Savusavu. Die Menschen waren sehr freundlich, überall wurden wir mit einem herzlichen „Bula!“ (dt.: Hallo) begrü?t und wir a?en viele Currys, u.a. selbstgemachtes Thunfisch-Curry in verschiedensten Variationen. Wir erledigten einige Bootsreparaturen und verarbeiteten einen vorher gefangenen Mahi Mahi und den Thunfisch zu Fischkonserven.

Savusavu – ein natürliches „hurricane hole“
An Dock der Copra Shed Marina
Hier legte SOLEJA eine Pause ein – l?nger als geplant.

Sobald das Wetter es zulie?, segelten wir weiter und zwar westw?rts die Küste von Vanua Levu entlang, zur Insel Yadua und dann durch die Bligh-Gew?sser zu den n?rdlichen Yasawa-Inseln. Von dort ging es dann die Inselkette der Yasawas entlang Richtung Süden nach Viti Levu. Die Bligh-Gew?sser sind nach dem Kapit?n William Bligh benannt, der hier nach der Meuterei auf der „HMS Bounty“ im Jahr 1789 mit 18 seiner M?nner in einer Barkasse entlang kam. Die Meuterei passierte in Tonga und Kapit?n Bligh war auf dem Weg nach Kupang in Indonesien, wofür er mit der Barkasse 47 Tage brauchte. Aus Angst vor Kannabalismus machte er auf keiner der fidschianischen Inseln Halt. Wir folgten also seiner Route und besuchten die Insel Yadua. Wir ankerten in zwei verschiedenen Buchten und waren beide Male das einzige Boot in der Bucht. Von der Vakasa Bay an der Nordküste von Yadua wanderten wir eine halbe Stunde lang nach Denimanu an der Ostküste, dem einzigen Dorf der Insel. Am Eingang des Dorfes standen ein paar neuere H?user, nachdem dieser Teil des Dorfes 2012 von einem Hurrikan zerst?rt worden war. Der Rest des Dorfes bestand aus ?lteren Wellblechh?usern und z.T. noch aus traditionellen Schilfhütten.

Das Dinghy wurde an einer Palme zurück gelassen.
Auf dem Weg nach Denimanu
SOLEJA allein in der Vakasa Bay
Eingang von Denimanu

Entsprechend der fidschianischen Tradition des sevusevu suchten wir den ratu (engl.: chief, dt.: Oberhaupt) des Dorfes auf, um im Dorf akzeptiert zu werden. Sevusevu ist zentraler Bestandteil der fidschianischen Kultur, es dient Alltagsritualen, sozialen Zusammenkünften, Heilungszeremonien und Gemeindetreffen. Wenn Besucher in ein Dorf kommen, wird auch von ihnen ein sevusevu erwartet. Konkret bedeutet dies, dass man als Besucher dem chief des Dorfes eine getrocknete Kava-Wurzel als Geschenk überbringt und es wird tats?chlich als Affront angesehen, wenn man ohne Kava in einem fidschianischen Dorf auftaucht. Wir fragten also nach chief Johnny und wurden zu seiner Hütte geleitet. Nachdem wir ihm das sevusevu überreicht hatten, wurden wir auf ein Mittagessen aus Kochbanane in Kokosmilch eingeladen. Johnny war nicht sehr gespr?chig und die Unterhaltung verlief etwas schleppend, bis wir das Gespr?ch auf Rugby lenkten. Es lief gerade die Rugby Weltmeisterschaft in Japan und Fidschi war leider in der Vorrunde ausgeschieden. Trotzdem war die Rugby WM ein allgegenw?rtiges Thema und überall sah man M?nner vor Fernsehern hocken und die Spiele verfolgen.

Chief Johnny will den Fernseher einschalten, um Rugby zu schauen.

Nach dem Mittag wurden wir dazu eingeladen, das Dorf zu besichtigen: „Vielen Dank für eurer sevusevu. Ihr seid in Denimanu willkommen und dürft euch nun im Dorf umschauen!“. Unsere Sonnenhüte lie?en wir bei chief Johnny, weil Kopfbedeckungen in der fidschianischen Kultur als unh?flich gelten. Wir gelangten zur Schule am anderen Ende von Denimanu und sofort kam ein Lehrer heraus und lud uns auf die Veranda des Schulgeb?udes ein. Es war Freitagnachmittag, die Kinder hatten Zeit zur freien sportlichen Besch?ftigung und tobten um uns herum oder standen ehrfürchtig im Türrahmen und beobachteten uns. Sofort wurden ein Tisch und Stühle herangeschafft, ein M?dchen wurde nach Hause geschickt, um uns etwas zu essen zu holen und es wurde nach dem Mann im Dorf geschickt, der für kurze Zeit in Deutschland gelebt hatte. Diese VIP-Behandlung war uns natürlich wieder unangenehm, aber wir verbrachten einen sehr sch?nen Nachmittag mit dem Schuldirektor und dem Mann, der in Deutschland gewesen war. Allein sein Aufenthalt in Europa machte ihn zu einer lokalen Authorit?t. Es wurden gebratener Maniok und Papaya kredenzt und wir tranken aus Kokosnüssen. Die M?nner befragten uns zu unserem Leben auf dem Segelboot und wir erfuhren über das Leben auf Yadua.

Neues Wellblechhaus
Traditionelle Schilfhütten

Auf dem Rückweg zur Hütte von chief Johnny kamen wir an der Gemeindehalle vorbei. Wieder kam sofort ein junger Mann heraus und lud uns ein, hineinzukommen. Drinnen wurde gerade ein informelles sevusevu abgehalten. ?hnlich wie in Tonga sa?en auch hier die M?nner um eine Kavaschale herum, jedoch war die Atmosph?re entspannter. Manche lagen auf dem Boden oder rauchten. In Fidschi nennt man die gro?e holzgeschnitzte Kavaschale tanoa und die Kokosnussschalen, aus denen man trinkt, hei?en bilo. ?blicherweise schenkt ein Mann aus, der die ganze Zeremonie leitet, welche viel mit Klatschen zu tun. Man klatscht kr?ftig mit hohlen H?nden ineinander, sodass ein lautes dumpfes Ger?usch entsteht – dieses Klatschen nennt man cobo. Je nachdem, wer an welcher Stelle trinkt, cobo-t man 1 bis 3 Mal jeweils vor und nach dem Trinken. Ich habe das Prinzip bis zuletzt nicht verstanden, aber immer mal wieder anerkennende Blicke bekommen, wenn ich es zuf?llig einmal richtig gemacht habe.

Die Kavawurzel wird mit Regenwasser angemischt.
Laurent ist an der Reihe.

Von Yadua segelten wir weiter nach Yasawa-i-Rawa, der n?rdlichsten der Yasawa-Inseln. Die Yasawas sind ein Archipel aus Vulkaninseln und Korallenatollen mit nur vereinzelten D?rfern. Hier gibt es ein paar Touristen-Resorts, aber keine Gesch?fte, Restaurants oder Geldautomaten. Das Boot sollte also gut mit Lebensmitteln gefüllt sein, vor allem wenn man sich beim Segeln Zeit lassen will. Hier trafen wir zum ersten Mal in Fidschi auf andere Segler. Diese erz?hlten uns von der kleinen Farm einer fidschianischen Familie auf der Insel Matacawa Levu, die Gemüse verkaufte. Wir machten uns mit dem Dinghy auf den Weg und gerieten unterwegs in einen gro?en Bimssteinteppich, der fast unseren Au?enbordmotor zerst?rte. Wir waren in Fidschi schon ?fter auf Bimsstein im Wasser gesto?en, aber nicht in dem Umfang wie in der Bucht von Matacawa Levu. Anfang August 2019 war ein Unterwasservulkan vor Tonga ausgebrochen und der Bimsstein war mittlerweile mit der Meeresstr?mung westw?rts nach Fidschi getrieben. Bei der Farm angekommen, folgten wir der Eigentümerin für gut 10 Minuten durch das Dickicht, bis wir auf ein paar Beete stie?en. Hier ernteten wir Pak Choi, Auberginen, Pilze, Bohnen, und Salat und mit einer Machete holte die Eigentümerin uns eine Bananenstaude vom Baum.

Auf dem Weg zur Farm
Hier wohnte die Familie.
Hinter einem kleinen Wald waren die Beete versteckt.
Durch den Bimsstein zurück zum Dinghy – mit Bananenstaude.

Auf den Yasawas besuchten wir das Dorf Somosomo auf der Insel Naviti. Auch hier wurden wir wieder wie Stars behandelt. Wir waren mittlerweile dazu übergegangen, Laurent mit seinem früheren Spitznamen „Lolo“ vorzustellen, weil die Fidschianer seinen franz?sischen Namen nicht aussprechen konnten. Wir blieben drei Tage in Somosomo und es dauerte nicht lange, bis uns jeder Dorfbewohner kannte. Gingen wir durch das Dorf, schallte es aus allen Ecken „Anna!“ Lolo!“. Somomsomo hatte einen Kindergarten, aber die Grundschule und die weiterführende Schule waren auf einer anderen Insel. T?glich wurden die Kinder von einem Schulboot abgeholt. Die Bewohner des Dorfes lebten vor allem von Fischfang und dem Verkauf von Kokosnüssen. Mehrmals die Woche fuhren die jungen M?nner des Dorfes mit einem kleinen Boot 40 Minuten über das offene Meer nach Viti Levu, um dort Fische und Kokosnüsse auf dem Markt in der gro?en Stadt Lautoka zu verkaufen und ihrerseits Lebensmittel zu kaufen. Es gab nur sporadisch Elektrizit?t und nicht jeder Haushalt hatte einen Kühlschrank. Wir wurden gebeten, ein tiefgekühltes Huhn in unserem Kühlschrank aufzubewahren, welches anl?sslich eines Dorffestes zubereitet wurde, zu dem wir natürlich auch eingeladen wurden.

Somosomo auf der Insel Naviti
Kinder toben im Wasser und versuchen unser Dinghy einzuholen.
Bob’s Haus: im Vordergrund eine Art Tisch, auf dem man zu den Mahlzeiten im Schneidersitz sa?
Ein Teil der Küche

Wir besuchten den Kindergarten des Dorfes, wo wir mit den Kindern bastelten und ihnen „Guten Tag“ auf Deutsch und Franz?sisch beibrachten. Danach h?rten wir ?fter „Bojuu, Anna! Bojuu, Lolo!“ durch das Dorf schallen. (= frz.: bonjour). Auch hier gab es die klassische Geschlechteraufteilung. Die kleinen M?dchen waren absolut fasziniert von mir und meinen blonden Haaren, hingen an mir und schmückten mich mit selbstgemachten Muschelschmuck und die Jungs dr?ngten sich um Laurent, wenn er sich an den „M?nneraufgaben“ im Dorf beteiligte, zum Beispiel der Reparatur eines Bootes. Einmal verabredete ich mit einer Frau aus dem Dorf, dass ich zu einer bestimmten Uhrzeit bei ihr zuhause vorbei kommen würde, damit sie Filme von unserer externen Festplatte kopieren k?nnte. Sie fragte: „Ist dein Ehemann damit einverstanden, dass du kommst?“ Hmm. Sollte ich ihr erkl?ren, dass Laurent nicht mein Ehemann war und noch viel wichtiger, dass er nicht bestimmte, mit wem ich mich wann verabredete? Ich dachte mir, dass es nicht viel Effekt auf die Frau haben würde. Sie würde h?chstens denken, ‚Was für verrückte und unanst?ndige Europ?er‘. Ich antwortete zuerst ausweichend: „Jaja, ist okay“. Das reichte ihr nicht. Sie hakte noch einmal nach: „Ist er wirklich einverstanden?“. Sie würde nichts anderes als ein ja gelten lassen. „Ja, ist er.“ Oh Mann, ich fühlte mich schlecht und war sehr dankbar, in Europa aufgewachsen zu sein.

Im Kindergarten
Nach anf?nglicher Schüchternheit wurde ich in die (M?dchen-)Spiele integriert.
Beim K?mmen meiner Haare

Als Dank für die uns entgegengebrachte Gastfreundschaft gaben wir den Dorfbewohnern, was wir konnten. Ich schenkte dem Mitte 50-j?hrigen Bob die Weitsichtbrille, die meine Mama in Peru vergessen hatte und Laurent half mit seinen Werkzeugen aus und überlie? den M?nnern bei ihrer Bootsreparatur seine Reste von Glasfasermatten und Epoxidharz.

Fachm?nnischer Rat bei der Bootsreparatur. Rechts: Bob, links: sein Vater Arthur.

Unser letzter Stopp auf den Yasawas war eine Bucht am anderen Ende der Insel Naviti nahe der Insel Drawaqa. Der Meeresengpass zwischen Naviti und Drawaqa gilt als beliebte Stelle für Mantarochen. Die Mantas schwimmen in dem engen Kanal entgegen der starken Str?mung und lassen sich Plankton ins Maul treiben. Wegen der Str?mung sind hier auch besonders sch?ne Korallen, sodass das Schnorcheln hier besonders Spa? gemacht hat. Wir fuhren mit den Dinghy an das ?u?ere Ende des Engpasses, sprangen ins Wasser und lie?en uns mit der Str?mung durch den Kanal treiben. Pl?tzlich sahen wir einen gro?en Mantarochen majest?tisch durch das Wasser gleiten! Gegen die Str?mung konnten wir aber nicht schnell genug schwimmen, um ihm zu folgen und so zogen wir uns abwechselnd an einem Seil hinter dem Dinghy neben dem Rochen her. Das war echt toll. In dieser Bucht lernten wir Humberto kennen, einen Holl?nder, der seit 30 Jahren auf Segelbooten lebt. Sein aktuelles Boot, ein gro?er Katamaran, hat er zusammen mit seiner Mutter gekauft. Die damals 89-J?hrige hatte ihren gesamten Besitz einschlie?lich ihrer Wohnung verkauft, um den Katamaran mit zu finanzieren und Humberto hatte ihn anschlie?end altersgerecht umgebaut. Er hatte sogar einen Lift eingebaut, um seine Mutter an und von Bord zu heben. Sie segelten 3 Jahre lang miteinander um die Welt, bis die Mutter im Alter von 92 Jahren verstarb. Besonders sch?n fand‘ ich das Foto im Salon, dass die ?ltere Dame mit Rollator an einem wei?en Sandstrand unter Palmen zeigte. Wir hatten einen sehr sch?nen Abend an Bord von Humberto’s Katamaran. Au?er Laurent und mir waren noch ein Seglerpaar aus Neuseeland und zwei US-Amerikanerinnen eingeladen. Es gab gebrateten Fisch und Rum mit Limetten und Humberto gab eine Abenteuergeschichte nach der n?chsten zum Besten.

Die Yasawas – gr??tenteils unberührte Natur…
… und viele sch?ne Sonnenunterg?nge.

Mittlerweile war es Mitte November und es wurde Zeit, weiter nach Neukaledonien zu segeln. Zum einen wegen der beginnenden Hurrikansaison und zum andern, weil mein Flug zurück nach Deutschland Ende November von Neukaledonien gehen würde. Wir segelten nach Viti Levu zur Vuda Marina, um dort die Ausreiseformalit?ten zu erledigen und um auf dem Markt in Lautoka unsere Vorr?te aufzufüllen. Die letzte Segeletappe nach Noumea erstreckte sich über 680 Seemeilen.

K?nigreich Tonga – Oktober 2019

Die Segeletappe von Niue nach Tonga war mit 250 Seemeilen der kürzeste Abschnitt unserer Reise. Trotzdem ben?tigten wir drei Kalendertage, weil wir (ich zum zweiten Mal) die Datumsgrenze überschritten. Diesmal aber in die andere Richtung, sodass wir einen Tag „verloren“.

Das Inselparadies von Vava’u

Das K?nigreich Tonga wird durch mehrere Inselgruppen gebildet. Wir segelten nach Vava’u, eine Inselgruppe im Norden des Instelstaates. Vava’u besteht aus der gro?en Insel Utu Vava’u mit der Hauptstadt Neiafu und etwa 50 kleineren Inseln, allesamt Koralleninseln – sowohl angehobene Kalksteininseln als auch flache Atolle. Eine polynesische Legende besagt, dass Vava’u von dem Gott Maui erschaffen wurde, als er beim Fischen den Meeresboden mit der Angel erwischte und hochzog. Beim Anblick der dicht bewachsenen, grünen Inseln mit ihren idyllischen Buchten und blauen Lagunen fühlte ich mich tats?chlich wie in einer polynesischen Sage. Einige der Inseln sind auch komplett unbewohnt.

Robinson Crusoe – Feeling
Kokosnüsse frisch von der Palme

In Neiafu mussten wir zun?chst die Einreiseformalit?ten erledigen und deckten uns dann auf dem gro?en Markt der Stadt mit dringend ben?tigten Lebensmitteln ein. Wir waren bisher 10 Tage auf See gewesen, hatten auf Palmerston einen Teil der Vorr?te unserer Gastfamilie überlassen und auf Niue nur das N?tigste gekauft. Die Lebensmittelpreise in Niue waren n?mlich sehr teuer, weil fast alles aus Neeseeland importiert wurde. Wir freuten uns also über die vergleichsweise günstigen Preise in Tonga und füllten das Boot mit verschiedenstem Gemüse, einem riesigen Sack Sü?kartoffeln, Eiern, Ananas, Papayas und Bananen. In Neiafu trafen wir Karen und Graham von S/V Red Herring II, Gustav und Bj?rn von S/V Ronja und zu unserer gro?en Freude auch unsere Freunde aus Taravao Ava und Pajo mit ihrem Segelboot Cinderella. Mit Ava und Pajo segelten wir ungef?hr eine Woche zusammen und erkundeten gemeinsam die verschiedenen Buchten von Vava’u. Dabei besuchten wir Inseln mit exotischen Namen wie Mala, Kapa, Nuku, Ovaka und Avalau.

Ava und Pajo auf ihrer „Cinderella“
SOLEJA vor der Insel Nuku

Unser Alltag bestand aus Segeln, Kochen, Essen, Schnorcheln und Entspannen. Wegen ihrer Haltbarkeit sind unter Seglern Rezepte beliebt, die auf Fermentierung beruhen. Ava und Pajo zeigten uns, wie man koreanischen Kimchi und Sake herstellt, was wir beides in gro?en Mengen produzierten. Pajo und Laurent waren ganz versessen auf’s Fischen und erlegten fast t?glich ein paar Fische auf unseren Schnorcheltouren. Wir genossen also Papageienfisch als poisson cru – rohe Fischfiletstücke in Limettensaft und Kokosmilch – oder Rote Schnapper, knusprig in der Pfanne gebraten.

Stolz wie Bolle zurück von der Papageienfisch-Jagd mit der Harpune
„Naa, wer hat den gr??eren Fisch gefangen?!“

Ein Ausflug brachte uns zur Swallow’s Cave, einer gr??tenteils unter Wasser gelegenen Kalksteinh?hle, die nur mit Boot erreichbar ist. Hier ist es zu tief zum Ankern und es gibt auch keine M?glichkeit, das Dinghy festzumachen. Deswegen sprangen wir direkt von unseren Segelbooten ins Wasser, w?hrend jeweils einer an Bord blieb und das Boot von den Felsen fernhielt. Die Swallow’s Cave wird mit der Blauen Grotte auf Capri verglichen und ich kann verstehen, warum. Wir tauchten durch kristallklares, blaues Wasser und die in die H?hle einfallenden Sonnenstrahlen erleuchteten die Stalakmiten und Korallenformationen auf dem H?hlenboden. Ein silbrig gl?nzender Fischschwarm streifte durch die H?hle und stob auseinander, sobald man sich n?herte.

Eingang zur Swallow’s Cave
Im Inneren der Swallow’s Cave (Foto von Beau Pilgrim, http://www.beaupilgrim.com)

Besonders sch?n war unser Besuch auf der Insel Vaka’eitu. Hier lebte eine Familie, die uns zum umu einlud. Das ist das traditionelle Kochen von Speisen in einem Untergrund-Erdofen (?hnlich dem ahima‘a auf Tahiti). In Tonga wird dabei üblicherweise Fisch oder Hühnchen in Tarobl?ttern zubereitet und mit Alufolie (früher mit Bananenbl?ttern) umwickelt vergraben. Die Beilagen in Form von Yam, Taro oder Sü?kartoffeln werden ebenfalls im umu zubereitet. Gemüse spielt keine gro?e Rolle in der tongaischen Küche und wie in anderen polynesischen L?ndern sieht man den Menschen die kalorien- und kohlenhydratreiche Di?t an. Jedoch gelten übergewichtige Menschen in Tonga als sch?n. Samstagabend schlemmten wir uns also durch ein üppiges umu-Festmahl und begleiteten die Familie am darauffolgenden Sonntag zur Kirche. Die Tongaer sind sehr christlich und der Sonntag ist als Tag der Ruhe heilig. Nicht einmal Schwimmen oder Fischen ist sonntags erlaubt und das Sonntagsessen wird auch bereits am Samstag zubereitet. Die Tongaer, genauer gesagt die tongaischen M?nner, verbringen den Sonntag nach der Kirche damit, sich mit Kava zu berauschen. Wir fuhren also mit dem Boot der Familie zur Nachbarinsel Nuapapu und besuchten dort die Kirche im Dorf Matamaka. Der Gottesdienst war ehrlich gesagt ziemlich anstrengend, da er sich über 4 Stunden streckte und natürlich in Tongaisch abgehalten wurde, sodass wir nichts verstanden. Die Ges?nge waren allerdings sehr sch?n.

Mit dem Boot zur Kirche
Die Dorfstra?e von Matamaka
An manchen Stellen war Klettern angesagt.
Hier wurden wir zum Mittagessen nach der Kirche eingeladen.
… Das Essen war tongaisch angerichtet, aber super lecker! Rind und H?hnchen in Tarobl?ttern aus dem umu, gegessen wurde mit den H?nden.

Kulturelles Highlight für uns war die dem Gottesdienst vorausgehende Kava-Zeromonie. Das Trinken von Kava ist eine im westlichen Ozeanien weit verbreitete Tradition. Die Wurzel der Kava-Pflanze wird getrocknet, zersto?en und das Pulver dann mit Wasser angerührt getrunken. Kava wirkt muskelentspannend, hypnotisierend, beruhigend und euphorisierend. In Tonga wird das Ritual des Kavatrinkens faikava („Kava machen“) genannt und traditionellerweise dürfen nur M?nner das berauschende Getr?nk zu sich nehmen. Normalerweise ist nur eine Frau anwesend, die den M?nnern serviert. Getrunken wird das Gebr?u aus einer Kokosnussschale. Wir waren nun aber vier ausl?ndische Frauen. Neben Ava und mir waren noch eine US-Amerikanerin und noch eine Deutsche dabei (die vier M?nner waren Bootsarbeiten vorschiebend auf ihren Segelbooten geblieben). Zwar lie?en sich die anwesenden tongaischen M?nner (u.a. hohe Pers?nlichkeiten wie der chief des Dorfes und der Pfarrer) abwechselnd von uns Frauen servieren, aber wir durften auch trinken. Die schlammig aussehende Brühe schmeckte ziemlich bitter und mein Mund wurde sofort taub. Nach ein paar Sekunden fühlte ich meine Arme und Beine schlaff werden und ich fühlte mich wie von einem Curare-Pfeil getroffen. Auch mein Kopf wurde schwer und in mir breitete sich eine allgemeine Entspannung aus. Der Effekt hielt aber nicht sehr lange an. In den USA ist Kava tats?chlich als Mittel bei Angstst?rungen zugelassen, in Europa wurde es jedoch wegen Lebersch?dlichkeit vom Markt genommen. Im westlichen Ozeanien geh?rt es zum Alltag und nicht nur in den traditionellen D?rfern. In Noumea, der Hauptstadt von Neukaledonien, gibt es zum Beispiel Kava-Bars, wo sich die Leute wie sonst auf ein Bier zum Kavatrinken treffen.

Wie es sich geh?rt: Susanne serviert den M?nnern Kava.
So entspannt wie der Dorfpfarrer konnte ich nicht auf der harten Matte sitzen.

Zweite Amtssprache im K?nigreich Tonga ist Englisch, welches mehr oder weniger von den meisten Einwohnern beherrscht wird. Wir konnten uns also in gebrochenem Englisch mit unserer Gastgeber-Familie unterhalten und so einiges über das Leben in Tonga erfahren. Die meisten Tongaer leben von traditionellem Kunsthandwerk, Landwirtschaft oder Fischerei. „Unsere“ Familie lebte vom Korbflechten und vom Weben von Matten aus getrockneten Pflanzen, wobei die Handarbeit von den Frauen der Familie übernommen wurde. Die gewobenen Matten bedecken die B?den in den H?usern der Tongaer und sie werden auch zum Schlafen verwendet. W?hrend der Kava-Zeromonie sa?en auch wir im Schneidersitz auf einer dieser Matten, welche sich für untrainierte Stei?beine als ziemlich ungemütich herausstellte. Zu festlichen Anl?ssen tragen tongaische M?nner eine ta’ovala um die Hüfte gewickelt, welche auf gleiche Weise hergestellt wird wie die Matten. Bei Frauen bezeichnet man das Gegenstück als kiekie.

Festlich für die Kirche gekleidet mit ta’ovala und kiekie

Das Familienleben ist in Tonga sehr traditionell. Die Aufgaben sind klassisch aufgeteilt: Die Frauen sind für das Kochen, die Kindererziehung und Handarbeit zust?ndig und die M?nner für die Landarbeit und das Fischen. Die Tongaer bekommen viele Kinder. Unsere Gastgeberin zum Beispiel war Mutter von 11 Kindern. Sobald die M?dchen alt genug sind, helfen sie bei der Hausarbeit und der Betreuung ihrer jüngeren Geschwister mit und werden früh, manchmal noch minderj?hrig, verheiratet.

Tongaische M?dchen in ihren Kirchenkleidern

Ava und Pajo würden die Hurrikan-Saison in Neuseeland verbringen und segelten deswegen über die Ha’apai-Inseln Richtung Süden. Laurent und ich dagegen segelten nach insgesamt zwei Wochen in Vava’u weitere 510 Seemeilen in den Westen nach Fidschi. Beim Reisen mit dem Segelboot bekommt man ein ungef?hres Verst?ndnis für die gewaltigen Distanzen des Pazifiks. Kaum zu glauben, dass die Polynesier vor ein- bis zweitausend Jahren die gesamte Südsee – von Hawaii bis Neuseeland – mit Auslegerkanus erkundeten und besiedelten. Dabei navigierten sie mithilfe der Sterne und konnten die Lage von Inseln anhand der ?nderungen der Wellenformationen erkennen.

Traditionelles polynesisches Auslegerkanu, auf Tahiti va’a genannt

Niue – September 2019

Von Palmerston segelten wir weiter Richtung Westen zur Insel Niue. Niue gilt mit seinen 1.600 Einwohnern als kleinster Staat der Welt. Es ist neuseel?ndisches Protektorat, hat aber eine eigene Regierung und verwaltet sich selbst. Die Winde waren günstig und wir waren mit durchschnittlich knapp 7 Knoten (= 13 km/h) für Segelverh?ltnisse recht flott unterwegs. Für die 440 Seemeilen brauchten wir zweieinhalb Tage. Am Morgen des dritten Tages kamen wir etwas zu früh an, die Sonne war noch nicht aufgegangen, und deswegen segelten wir die letzten Meilen im Schneckentempo, um nicht im Dunkeln in der Bucht einzulaufen. Mit der aufgehenden Sonne im Gesicht n?herten wir uns schlie?lich der Insel und machten an einer Mooring Boje vor der Hauptstadt Alofi fest. Im Gegensatz zu den meisten anderen Inseln des Südpazifiks hat Niue keine Lagune, sondern ist eine knapp 70 m über Meeresniveau erhobene Koralleninsel und wird deswegen auch „the Rock of Polynesia“ genannt. Wir staunten über die hohen Kalksteinklippen der zerklüfteten Küste, die über den azurblauen Ozean ragten. Das Wasser vor Alofi ist 30-40 Meter tief und au?ergew?hnlich klar. Beim Schnorcheln konnten wir problemlos bis auf die Korallen auf dem Meeresgrund schauen. Mit dem Dinghy an Land zu gelangen gestaltete sich komplizierter als sonst. Wir konnten n?mlich nicht einfach auf einem Strand landen oder das Dinghy an einem Bootssteg festbinden, sondern mussten es mit einem Kran aus dem Wasser holen und es auf dem Dock parken.

Küste vor Alofi
Parken mal anders

Auf einer Feier im Segelclub lernten wir Karen und Graham kennen, ein Weltenbummler-Ehepaar aus Neuseeland, die mit ihrem Segelboot S/V Red Herring II schon seit über 10 Jahren auf den Meeren der Welt unterwegs waren. Gustav und Bj?rn von S/V Ronja waren auch mit uns nach Niue gesegelt. Beide Boote, S/V Ronja und S/V Red Herring II, kamen auch mit uns nach Tonga. Seit wir Taravao auf Tahiti verlassen hatten, geh?rten wir zum ersten Mal wieder zu einer kleinen sozialen Gruppe. Das war nach vielen Wochen intensiver Zweisamkeit zur Abwechslung mal ganz nett. Wir liehen uns zusammen mit Karen und Graham ein Auto aus und erkundeten die vielen versteckten Schluchten, Felsformationen und H?hlen von Niue.

Talava Arches
Anapala Chasm

Ein Highlight war die Wanderung zum Togo Chasm. Der Wanderweg führte durch einen mystischen tropischen Regenwald voller Farne und danach über eine bizarre Mondlandschaft aus versteinerten Korallen. Am Schluss ging es eine „Indiana Jones“- Leiter hinunter in eine enge Schlucht mit wei?em Sand und Kokospalmen. In der Schlucht h?rte man die Wellen des Pazifiks von au?en gegen die Felsen peitschen und durch eine H?hle, die nur bei Ebbe begehbar ist, kletterten wir an den Rand der Klippe zum Wasser.

Versteinerte Korallen
Abenteuer-Feeling im Togo Chasm
Die Leiter führt in eine Schlucht mit Palmen
Die Wellen schlagen gegen Niue’s zerklüftete Küste

Zum Mittagessen picknickten wir am Strand von Avatele. Auf der anschlie?enden Schnorcheltour schwamm ich mehrere Minuten lang mit einer Schildkr?te und au?erdem traf ich auf eine schwarz-wei? gestreifte Seeschlange. Ich konnte die sich seltsam durch’s Wasser bewegende Kreatur zuerst nicht zuordnen, aber dann fiel mir ein, wie mir in Malaysia jemand von diesen t?dlichen Seeschlangen erz?hlt hatte. Angeblich seien sie so giftig, dass ein einziger Biss einen Menschen in wenigen Minuten t?ten würde. Ich nahm erschrocken Rei?aus und damit war das Schnorcheln für mich beendet.

Avatele Beach

Mein Lieblingsort auf Niue waren die Limu Pools, eine Gruppe von natürlichen Schwimmbecken, die vom Ozean durch Felsen abgegrenzt sind. Hier gibt es wie an deinen meisten Küstenabschnitten von Niue keinen Sandstrand, sondern man klettert über Holzleitern ins türkis-blaue Wasser oder springt einfach vom Felsen hinein.

Limu Pools
Sprung ins 25°C warme türkise Blau

Ein weiterer sehr sch?ner und geheimnisvoller Ort war die H?hle von Avaiki. Der Legende nach durfte in diesem Salzwasserbecken früher nur der K?nig von Niue baden. Das unterschiedlich einfallende Sonnenlicht erzeugte verschiedene Blaut?ne im Wasser und es schimmerte rosa von den Kalksteinw?nden. Ein H?hlengang führte in eine zweite, kleinere H?hle. Dieser lag komplett unter Wasser, also tauchte man ein paar Meter durch Stalaktiten und Stalakmiten und fühlte sich wie in einer anderen Welt.

Avaiki Cave

Da laut Wettervorhersagen der Wind für l?ngere Zeit ostw?rts drehen sollte, verlie?en wir Niue schon nach 3 Tagen, weil wir hier nicht auf unbestimme Zeit feststecken wollten.

Erste Ozeanüberquerung nach Palmerston, Cook-Inseln – September 2019

Catherine und Greg traten auf Bora Bora ihre Heimreise in die USA an und Laurent und ich segelten zurück nach Huahine, um SOLEJA (Laurent’s Segelboot) dort für unsere gro?e Reise vorzubereiten. Wir würden von Huahine insgesamt 2590 Seemeilen – das entspricht 4800 Kilometern – nach Neukaledonien segeln und unterwegs Palmerston in den Cook-Inseln, Niue, Tonga und Fidschi besuchen. Mit den Aufenthalten auf diesen Inseln waren wir insgesamt zwei Monate unterwegs.

Regenbogen über Fare, Huahine

Bevor wir aufbrechen konnten, standen noch einige Bootsreparaturen an. In der Lagune von Bora Bora rissen wir ein Loch in die Genua, als der Wind bei der Umrundung des zentralen Felsens pl?tzlich die Richtung wechselte und die Genua gegen eine Saling peitschte. Zu einem anderen Zeitpunkt hatten wir ein Blatt des Windrades verloren und irgendwo schien es ein Leck zu geben. Das bemerkten wir daran, dass die Bilgenpumpe st?ndig ansprang und wir daraufhin Salzwasser in der Bilge fanden. Nicht gut! Au?erdem mussten wir den Wassertank auffüllen und uns mit Vorr?ten eindecken. Für all diese Vorhaben ankerten wir direkt vor Fare, der einzigen Stadt auf Huahine, wo es auch den einzigen Supermarkt der Insel gab. Au?erdem hatte Fare einen kleinen Yachtclub mit einer Bar direkt am Wasser, wo wir regelm??ig mit einem Drink in der Hand den Sonnenuntergang über der Nachbarinsel Tahaa genossen. Wir wechselten die Genua, ersetzten das Blatt am Windrad und fanden und behoben das Leck. Glücklicherweise war es nur ein Loch im Schlauch der Salzwasserpumpe unter der Spüle und kein Loch im Bootsrumpf. Nachdem SOLEJA hochseetauglich gemacht und voll mit Vorr?ten und Wasser war, mussten wir noch auf guten Wind warten. Und so wurde aus der einen geplanten Woche auf Huahine zwei Wochen, bis wir am 18.09.2019 endlich die Segel in Richtung Westen setzten.

Yachtclub von Fare, Huahine
Waschtag: alles muss mit Hand gewaschen werden

Für die 710 Seemeilen nach Palmerston brauchten wir 6 Tage und wir hatten wettertechnisch alles dabei: von absoluter Windstille bis Wind mit einer Geschwindigkeit um 28-34 Knoten (50-60 km/h, entsprechend Windst?rke 7 nach Beaufort). Das lag daran, dass westlich von Franz?sisch-Polynesien die SPCZ (South Pacific Convergence Zone) beginnt, eine tropische Konvergenzzone, wo Winde aus zwei Richtungen aufeinanderprallen. Das macht das Wetter sehr unbest?ndig und bringt kurzzeitige Unwetter mit Sturmb?en. Wir hatten uns extra für die Reise einen WLAN-Router besorgt, der über Satellit eine Internetverbindung auch auf hoher See herstellen kann und beschafften uns darüber alle paar Stunden das aktuelle Wetter. Dieser „steife Wind“ traf uns aber trotzdem unvorbereitet mitten in der Nacht. Das Schlimmste daran waren die B?en bis über 40 Knoten (75 km/h) und die knapp 4 Meter hohen Wellen. Nachts um 02:30 Uhr mussten wir also das Gro?segel reffen und die Genua gegen eine Sturmfock tauschen. Ich stand dafür am Steuer und lenkte das Boot in den Wind und Laurent krabbelte angeleint an Deck zu den Segeln. Dabei schaukelte das Boot wie verrückt und st?ndig erwischte ihn eine der riesigen Wellen. Dummerweise hatten wir vor unserem Aufbruch den Film „Adrift“ gesehen. Dieser Film beruht auf einer wahren Begebenheit und handelt von einer jungen Frau, die auf Tahiti (!) einen 11 Jahre ?lteren (!) Segler kennen lernt und mit ihm über den Pazifik (!) in die USA segelt. Unterwegs kommen sie in einen Sturm, er wird von Bord gespült und sie segelt allein mit einem winzigen improvisierten Segelfetzen weiter und kommt nach 41 Tagen auf Hawaii an. Als ich Laurent im Sturm auf dem Deck herumwanken sah, dachte ich: „Okay, das war’s, Anna. Das hast du nun von deiner Abenteuerlust. Jetzt wird er von Bord gefegt und du stirbst alleine auf einem Segelboot mitten im Ozean.“ Er wurde nicht von Bord gefegt. Aber ich konnte noch die ganze Nacht vor Angst kein Auge zutun. Und wenn ich mal wegged?mmert bin, wurde ich nach ein paar Minuten wieder von dem ohrenbet?ubendem Krachen einer Welle gegen den Schiffsrumpf geweckt. Laurent hat friedlich geschlummert. Sp?ter hat er mir verraten, dass er auch Angst hatte. Gut, dass er das in dieser Nacht vor mir verborgen hat! Der starke Wind hielt für 36 Stunden an. Aber die Wellen wurden irgendwann kleiner und mit gerefftem Segel und Sturmfock segelt es sich (den Umst?nden entsprechend) relativ ruhig. Und man gew?hnt sich auch an das Knallen der Wellen gegen den Rumpf, wenn man nach Dutzenden davon kapiert hat, dass sie das Boot nicht umhauen. Ansonsten war die Fahrt relativ ereignislos. Wir verbrachten die Zeit mit Lesen, Filmschauen und Essen. Am dritten Tag der ?berfahrt fingen wir unseren bzw. meinen ersten Fisch, einen Mahi-Mahi. Zuerst war ich ganz aufgeregt, auch weil es so ein sch?ner bunter Fisch war. Faszinierender- und traurigerweise verblassen die schillernden Farben, sobald er aus dem Wasser geholt wird. Vor dem Verblassen kann man aber ein regelrechtes Farbspektakel beobachten! Als es dann ans Ausnehmen des Mahi-Mahis ging, meldete sich bei dem Fischgeruch mein wahrscheinlich doch noch nicht ganz seetauglicher Magen. Ich lag also malade unter Deck und der arme Laurent musste die ganze Arbeit allein machen. Danach hielt sich meine Aufregung bezüglich des Angelns in Grenzen und ich war nicht gerade begeistert, wenn es an einer von Laurent’s vier Angelschnuren zurrte. Kurz vor Ankunft in Palmerston fingen wir den ersten Thunfisch, der im Vergleich zu den sp?ter gefangenen Thunfischen ziemlich klein war. Wir freuten uns trotzdem und a?en das frischste Sashimi der Welt.

Frisch aus dem Wasser schimmert ein Mahi-Mahi in Grün und Gold
Dann verf?rbt er sich blau…
… und wei?!

Palmerston ist ein Atoll mitten im Pazifik. Auf dem die Lagune ringf?rmig umschlie?enden Korallenriff sind mehrere kleine Sandinseln aufgelagert, davon ist Palmerston die einzige bewohnte Insel. Das Interessante daran ist, dass alle 35 Inselbewohner miteinander verwandt sind. Sie stammen n?mlich alle von dem Engl?nder William Marsters ab, der 1863 nach Palmerston kam und 23 Kinder mit seinen drei polynesischen Ehefrauen hatte. Von diesen drei Frauen stammen die bis heute existierenden drei Familien ab. Die aktuellen Familienoberh?upter sind Bob, Bill und Edward. Auf Palmerston gibt es keine Stra?en, keine Gesch?fte, keine Restaurants, keine Bar. Auf dem wei?en Sand stehen nur eine Kirche, eine Schule, eine kleine Krankenstation und seit Neuestem einen Hurrikanbunker. Die zwei Lehrer und die Krankenschwester sind die Einzigen, die nicht mit dem Rest der Inselbewohner verwandt sind. Alle paar Monate kommt ein Versorgungsschiff von Rarotonga, der Hauptinsel der Cook-Inseln, und bringt Lebensmittel und alles, was man sonst so braucht. Auf dem sandigen Boden der Insel w?chst nicht viel, die Bewohner bauen nur etwas Taro und Sü?kartoffeln an. Ansonsten wachsen Brotfruchtb?ume und unendlich viele Kokosnusspalmen. Für alles andere sind sie vom Versorgungsschiff abh?ngig. Deswegen ist es zur Tradition geworden, die vorbeikommenden Segelboote zu bewirten im Austausch für Lebensmittel und dringend ben?tigte Gegenst?nde wie Werkzeuge, Angelzubeh?r, Tabak oder Papier und Stifte für die Schulkinder.

Palmerston, eine Insel wie im Paradies
Die Hauptstra?e mit Kirche
Die H?user sind eher provisorisch

Als wir uns Palmerston n?herten, kam uns ein kleines Boot mit r?hrendem Au?enbordmotor entgegen gerast. Darin sa? Andrew Marsters, Sohn von Bob Marsters, der unser Gastgeber sein sollte. Andrew führte uns zu einer Mooring Boje direkt hinter dem Riff, half uns beim Festmachen und nahm uns, nachdem die Einreiseformalit?ten gekl?rt waren, in seinem Boot mit zur Insel. Der Weg über das Riff ist n?mlich heikel und einige Segler haben dort schon ihr Dinghy (und das Riff) besch?digt. Deswegen wird man von seinem Gastgeber stets zur Insel und zurück zum Segelboot gebracht. Ich hatte das Gefühl, dass Andrew seine Zickzack-Route um die Korallenbl?cke herum auch mit geschlossenen Augen h?tte fahren k?nnen. Beim N?herkommen an den Strand offenbarte sich Palmerston als eine (weitere) traumhaft sch?ne Südseeinsel: wei?er Sand, Palmen und unter dem Boot sahen wir Papageienfische und Stachelrochen durch das glasklare Wasser flitzen. Wir wurden zum Haus der Familie geführt, bestehend aus einer Wellblechhütte und einem ebenfalls mit Wellblech bedeckten Unterstand, unter dem vor der Sonne geschützt gegessen und eigentlich der ganze Tag verbracht wurde. Wir lernten den Rest der Familie kennen: den Patriarchen Bob, seine Ehefrau und neben Andrew drei weitere Kinder. Andrew ?ffnete mit einer Machete Kokosnüsse zum Trinken und wir lie?en uns mit einer Kokosnuss in der Hand auf Plastikstühlen nieder und plauderten. Unter den Palmen liefen Hühner herum und in einem Verschlag stand ein dickes Schwein. Au?er uns waren noch die zwei Schweden Gustav und Bj?rn mit ihrem Segelboot S/V Ronja zu Gast. Nach kurzer Zeit wurde ein reichhaltiges Mittagessen aus Fisch in Kokosnussso?e, gebratenem H?hnchen und Taro serviert. Ein Mahl aus Proteinen und Kohlenhydraten. Auf Gemüse wird in der polynesischen Küche nicht viel Wert gelegt. „Esst, esst! Ihr seid viel zu dünn! Daran werden wir in den n?chsten Tagen schon arbeiten“, sagte Bob. Ein Prinzip, dass auf Palmerston tats?chlich gelebt wird. Die meisten Inselbewohner sind ziemlich fettleibig.

Das Haus von Bob Marsters‘ Familie
Unser „Taxi“

Wir erfuhren von Bob, dass die meisten Bewohner von Palmerston ihr Geld mit dem Verkauf von Papageienfischen verdienten. Ungef?hr einen Monat, bevor das Versorgungsschiff kommen würde, gingen die Inselbewohner t?glich fischen, um dann 1 bis 2 Tonnen tiefgekühlte Papageienfisch-Filets mit dem Schiff nach Rarotonga liefern zu lassen. Wir baten darum, bei der n?chsten Gelegenheit beim Fischen mitkommen zu dürfen, was erfreut von Bob aufgenommen wurde. „Kommt die Lady auch mit?“, fragte er. Die Frage war an Laurent gerichtet, was mich kurz ?rgerte. „Klar!“, erwiderte ich, und so fanden wir uns kurze Zeit sp?ter mit Andrew und den beiden Schweden auf dem Riff wieder. Auch sp?ter auf Tonga und Fidschi machte ich die Erfahrung, dass es eine klassische Rollenverteilung zwischen M?nnern und Frauen gibt und dass die M?nner definitiv das Sagen in der Familie haben. Auf Palmerston war die Familienstruktur aber besonders patriarchalisch. Bob sa? die meiste Zeit des Tages in seinem Plastikstuhl, rauchte, lie? sich von seiner Frau und den Kindern bedienen und bellte ihnen Befehle zu. Die Ehefrau rührte ihm sogar die Milch in den Kaffee! Naja, jedenfalls lie?en sie mich nach einigen verwirrten Blicken mit zum Fischen kommen. Dazu liefen wir zu Fu? auf dem Riff durch das hüfthohe Wasser und spannten ein Netz im Halbkreis auf. Dann liefen wir aus verschiedenen Richtungen auf das Netz zu und schlugen dabei mit Holzst?ben auf die Wasseroberfl?che, um die Fische in das Netz zu treiben. Anschlie?end liefen wir das Netz entlang und t?teten die Papageienfische mit unseren blo?en H?nden, indem wir ihnen das Genick brachen. Bj?rn fragte besorgt, ob die Fische im Netz nicht Haie anlocken würden. „Nee,“ entgegnete Andrew, „wenn, dann schnappen die sich manchmal die Schnur mit den toten Fischen dran“. Nachdem wir sie aus dem Netz geborgen hatten, f?delten wir die toten Fische n?mlich wie eine groteske Perlenkette auf eine Angelschnur auf. Und wer zerrte die Schnur mit den dutzenden toten Fischen durch’s Wasser? Die Lady! Das T?ten der Fische wurde n?mlich als M?nneraufgabe betrachtet… Um zu beweisen, dass ich das auch fertig bringen würde und mich nicht ekelte, drückte ich Gustav die Fischschnur in die Hand und machte mich an einem der zappelnden Papageienfische im Netz zu schaffen. Die Viecher waren aber so riesig, dass ich sie kaum mit beiden H?nden umgreifen konnte. Und einen glitschigen, zappelnden, kiloschweren Fisch mit einer Hand festzuhalten und mit der anderen Hand den Kopf 90° nach hinten zu schnipsen, gestaltete sich fast als unm?glich. Mit viel Mühe, krampfenden Fingern und unter Zuhilfenahme meines Knies schaffte ich es aber doch. Insgesamt erlegte ich so drei Fische. Aber dann taten mir die H?nde so weh, dass ich doch wieder ergeben die Schnur an mich nahm. Laurent, Gustav und Bj?rn hatten aber auch ihre Schwierigkeiten. Sie brauchten mehrere Anl?ufe und verloren den ein oder anderen Papageienfisch, wenn er ihnen aus den H?nden flutschte. Andrew lie? es so einfach aussehen! Er hatte bis zu drei Fische auf einmal in den H?nden und brach ihnen das Genick, als würde er Grashalme durchknicken. Er amüsierte sich k?stlich über unsere Mühen. Das Ausnehmen und Filetieren der Fische zurück am Strand war dann Familienaufgabe.

Papageien-Fischen mit Andrew
Zu Fu? und mit St?cken bewaffnet geht’s auf das Riff. Im Hintergrund S/V SOLEJA und S/V Ronja
Die Papageienfische sind riesig und schillern in verschiedenen bunten Farben
Gemeinsames Ausnehmen der Fische am Strand
Filetieren im Akkord

Palmerston ist winzig. In 30 Minuten entspannten Gehens hat man die Insel komplett umrundet. Bob’s jüngste Kinder, die 8-j?hrige Tochter und der 6-j?hrige Sohn, führten Laurent und mich über die Insel. Dabei fragten sie uns L?cher über unser Leben in den Bauch und zeigten stolz ihre Schule und die Krankenstation. In der Krankenstation trafen wir die Krankenschwester aus Papua-Neuguinea. Die Kinder berichteten sofort, dass ich ?rztin w?re. Daraufhin zeigte mir die Krankenschwester schüchtern ihr Büro und das Behandlungszimmer. Mir war das ziemlich unangenehm. Neben der übertriebenen Ehrfurcht, die mir als ?rztin schon in Asien und Südamerika ?fter entgegen gebracht wurde, hatte ich das Gefühl, dass hier zus?tzlich die ?berzeugung dazu kam, dass ich mit meiner wei?en Hautfarbe etwas Besonderes w?re. Es war gerade eine Patientin im Behandlungszimmer und die Krankenschwester schilderte mir den Fall, als w?re ich ihre Vorgesetzte und erwartete, dass ich ihre bereits getroffenen Entscheidungen absegnete. Diese mir unfreiwillig zugeschriebene Autorit?t machte mich traurig. Leider ist immer noch so, dass sich weltweit viele ethnische Gruppen den Menschen mit wei?er Hautfarbe untergeordnet und weniger wert fühlen. Ein Ph?nomen, an dem wir Europ?er auch heute noch mit schuld sind. Laurent und ich wurden überall sehr warm empfangen. Die Leute winkten und kamen aus ihren H?usern, wenn sie uns kommen sahen, stellten sich vor (alle trugen den Nachnamen „Marsters“) und luden uns in ihre H?user ein. Und so tranken wir hier eine Cola und a?en dort ein Eis, w?hrend wir die Insel und deren Bewohner kennen lernten. Auch der Besuch des kleinen Friedhofs hinter der Kirche war interessant, denn auf fast allen Grabsteinen war der Name „Marsters“ zu lesen. Eine Entdeckung, die vor allem Laurent schockierte, war das Wrack einer Segelyacht zwischen den Palmen. Ein Fischer nutzte das Wrack nun als Unterstand für seine Fischernetze und Bootswerkzeuge. Er erz?hlte uns, dass die Yacht einem Segler geh?rt hatte, der vor 10 Jahren nicht auf die Hurrikanwarnungen der Inselbewohner h?ren wollte und deswegen sein Boot nicht ausreichend sicherte, sodass es vom Wind über das Korallenriff auf den Strand getrieben wurde. Palmerston wurde in der Vergangenheit ?fter von Hurrikans getroffen. Der letzte schwere Hurrikan fegte in den 90er Jahren über die Insel und verwüstete sie komplett. Bob erz?hlte uns mit etwas Stolz von dem gro?en Hurrikan aus dem Jahr 1926 zu Zeiten seiner Gro?eltern. Damals wurden alle Geb?ude und alle Kokospalmen von der Insel gefegt und die Bewohner ern?hrten sich monatelang von den im Wasser treibenden Kokosnüssen, da das Versorgungsschiff l?ngere Zeit ausblieb.

Südseetraum
Ein Reisemagazin-Foto muss sein
Friedhof mit dem Namen „Marsters“ auf fast jedem Grabstein
Das Wrack einer Segelyacht erinnert daran, dass Palmerston Hurrikans ausgesetzt ist

Nach vier Tagen ergab sich ein günstiges Wetterfenster und war es an der Zeit weiter zu segeln. Als Dank für die Gastfreundschaft schenkten wir Bob’s Familie Reis, Nudeln, Knoblauch und Kakao für die Kinder. Au?erdem überlie?en wir ihnen Strohhüte, einen Kanister Diesel und einen Angelk?der. Wir machten uns gleichzeitig mit S/V Ronja auf den Weg nach Niue.

Leben auf einem Segelboot (Tahiti 2.0) – Juli 2019

Wie bereits erw?hnt, fiel es mir nicht so leicht, das Abenteuer des Alleinreisens vorzeitig aufzugeben und meinen geliebten Rucksack auf einem Segelboot zu verstauen. Andererseits war es auch sch?n nach 7 Monaten st?ndigen Ortswechsels und st?ndigen Ein- und Auspackens wieder einen dauerhaften Schlafplatz und etwas allt?gliche Routine zu haben. Nach der trockenen K?lte in den südamerikanischen Anden waren auch die 28°C Tagestemperatur (mit 22°C in der Nacht) und 80% Luftfeuchtigkeit ein gewisser Pluspunkt.

Laurent’s Segelyacht SOLEJA

Mein neues vorrübergehendes Zuhause war also eine Neptune 135 namens SOLEJA, eine 13,5 Meter lange Segelyacht franz?sischer Herstellung aus dem Jahr 1985. Den ersten Monat verbrachten wir vor Anker liegend in der Marina von Taravao. Das St?dtchen Taravao liegt an der Südostküste Tahitis, am ?bergang von Tahiti Nui (der gro?en Halbinsel) zu Tahiti Iti (der kleinen Halbinsel). In dieser kleinen Marina herrschte eine besondere, sehr entspannte und famili?re Stimmung und es war sch?n, Teil dieser kleinen (Aussteiger-)Gemeinde zu sein. Der soziale Mittelpunkt dieser bunt zusammen gewürfelten Truppe war Thomas, ein franz?sischer Tauchlehrer, der eine Tauchschule in der Marina betrieb und jeden Freitag zu feucht-fr?hlichen Abenden einlud. Dann gab es noch Tema, eine Tahitianerin, die in der Marina arbeitete; Rusty, einen pensionierten US-Amerikaner, der sich gerade den Traum eines eigenen Segelbootes verwirklicht hatte (ohne segeln zu k?nnen); Medhi und Karine aus Frankreich, die ihren Lebensunterhalt als Skipper und Hostess auf kommerziellen Segelyachten auf den Inseln Franz?sisch-Polynesiens verdienten und Ava und Pajo, ein P?rchen aus Seattle, die auf ihrem Segelboot „Cinderella“ um die Welt segelten. Jeden Freitagabend kamen wir also in der Tauchschule zu einer kleinen Party zusammen, auf denen viel Hinano Bier, tahitianischer Rum und selbst-gebrauter Sake getrunken und zu meinem Leidwesen viel Franz?sisch gesprochen wurde. Aber immerhin hatte ich viiiel Zeit mein Franz?sisch aufzufrischen. Laurent arbeitete ?fter auf der Werft am Katamaran eines Israelis, der auf ein Korallenriff aufgelaufen und sich ein Loch in den Schiffsrumpf gerissen hatte. In dieser Zeit las ich viel, lernte Franz?sisch oder suchte mir Projekte auf unserem Boot. So mistete ich zum Beispiel einige Schr?nke aus oder brachte deutsche Ordnung in die Organisation der Vorr?te. Laurent wurde au?erdem dafür bezahlt, Rusty das Segeln beizubringen. Also unternahmen wir ein paar Segelt?rns mit Rusty auf dessen schicker gro?er Segelyacht. Da Laurent die Segelunterrichtsstunden für Rusty auf Englisch abhielt, konnte ich auch einiges über Segeln lernen. Au?erdem verbrachten wir viele Nachmittage und Abende mit Medhi und Karine oder mit Ava und Pajo, bei denen wir leckeres Essen genossen (zum Glück geh?rt Tahiti zu Frankreich!) und über Gott und die Welt redeten. Dabei drehten sich viele Gespr?che um Segeln und Reisen allgemein, aber auch viel um Weltpolitik und andere gesellschaftliche Themen. Diese Segler sind tats?chlich ein sehr interessiertes, kritisches und offenes V?lkchen.

Lagune von Huahine mit umgebendem Korallenriff
Sonnenuntergang in der Marina
(Fast) jeden Abend ein sch?ner Sonnenuntergang

Obwohl ich die Routine und die konstanten sozialen Kontakte nach so vielen Monaten des Reisens genoss, wurde ich Taravao und der Marina nach 4 Wochen doch überdrüssig und ich dr?ngte Laurent dazu, zur Nachbarinsel Moorea zu segeln. Moorea ist für mich eine der sch?nsten Inseln Franz?sisch-Polynesiens mit hohen, scharfkantigen und mit dunkelgrünen W?ldern bewachsenen Bergen und kristallklaren türkisen Lagunen. Hier unternahmen wir Radtouren durch die Berge und durch T?ler mit Ananasstauden und Zuckerrohr, schnorchelten durch sch?nste Korallen begleitet von bunten Rifffischen wie Papageienfischen, Rochen und Riffhaien und verbrachten sch?ne Abende mit anderen Seglern. Es ist wirklch erstaunlich, wie klein die Weltumsegler-Community ist. Oft kam es vor, dass Laurent ein Boot in der Bucht sah und sagte: „Hey, das ist Jorge aus Spanien mit seiner argentinischen Freundin! Die kenne ich aus Kolumbien.“ Die Route um die Welt ist n?mlich meistens ?hnlich: Von Europa geht es durch Gibraltar über die Kanaren und Kap Verde in die Karibik, dann über verschiedenste Karibikinseln nach Kolumbien und nach Panama durch den Panamakanal und von dort über den Pazifik zu den Marquesas in Franz?sisch-Polynesien. Von Franz?sisch-Polynesien geht es üblicherweise weiter nach Fidschi, entweder entlang der südlichen Route über Cook und Tonga oder über die n?rdliche Route über Samoa. Der Südpazifik ist mit seinen abgelegenen palmenbesetzten Inseln mit wei?en Sandstr?nden ein wahres Seglerparadies. Viele der Weltumsegler bleiben deswegen dauerhaft hier. Wie auch in der Karibik gibt es aber auch im Südpazifik Hurrikan-Saisons, in denen man sein Boot irgendwo sicher unterbringen sollte. Dafür gibt es sogenannte hurricane holes, das sind Buchten, die ringsum von ausreichend hohem Land umgeben sind, um die vor Anker liegenden Boote aus allen Richtungen vor Wind und Wellen zu schützen. Sicherer ist es aber, die Hurrikan-Gebiete zu verlassen. Deswegen verbringen viele Segler des Südpazifiks diese Saisons in Neuseeland. Jedenfalls trifft man sich auf der typischen Weltumsegler-Route oft wieder. Und wenn man mal in eine Bucht einl?uft und kein Boot wieder erkennt, h?lt man einfach nach den Segelbooten Ausschau, die Vorratskanister an Deck haben und durch die st?ndige Exposition mit Sonne und Salzwasser etwas abgeranzt aussehen. Et voilà – schon hat man die Weltenbummler ausfindig gemacht. Dann f?hrt man im Dinghy einfach mal rüber, wird in der Regel auf einen Kaffee oder ein Bier eingeladen und kommt über das übliche „Und, was ist eure Geschichte?“ ins Gespr?ch. Man k?nnte n?mlich denken, das Seglerleben sei einsam, ist es aber gar nicht.

Opunohu Bucht auf Moorea
Anstrengende Radtour mit Aussicht auf die Opunohu Bucht (links; wo SOLEJA lag) und die Cook’s Bucht
Dinghy Parkplatz unter Palmen

Das Leben auf einem Segelboot ist einzigartig. Das Sch?nste daran für mich ist, dass es ein Leben mit der Natur ist. Man ist Wind und Wetter ausgesetzt und man passt seinen Tagesrhythmus dem Rhythmus der Sonne an. Mein Tag fing meistens damit an, dass ich gegen 5.00 Uhr von Laurent’s Geschepper mit der Kaffeekanne aufgewacht bin. Dann habe ich mich nochmal im Bett umgedreht und bin mit dem Sonnenaufgang gegen 6.30 Uhr aufgestanden. Die ersten Stunden des Morgens verbrachten wir meist schweigend, wobei ich entweder gelesen habe, franz?sische Vokabeln lernte oder einfach nur aufs Wasser hinaus schaute. Zum Frühstück gab es – wie in Frankreich üblich – Brot mit Butter und Marmelade. Unser Brot backten wir alle 2 bis 4 Tage selbst. Nach dem Frühstück gingen wir dann unseren Projekten nach. Zum Einkaufen sind wir mit dem Fahrrad zum Carrefour-Supermarkt in Taravao geradelt und haben auf dem Rückweg frischen Thunfisch bei den einheimischen Fischern an der Stra?e gekauft. Die erste Portion haben wir prinzipiell roh in Form von Sashimi gegessen. Wenn man vor Anker in der N?he einer Stadt liegt, ist das Nahrungsmittelangebot ?hnlich dem der Zivilisation. In Franz?sisch-Polynesien haben wir unsere Lebensmittel meist im Supermarkt gekauft, sp?ter auf Tonga und Fidschi auf lokalen M?rkten. Auf See oder in abgelegeneren Buchten gab es dann weniger frische Produkte. Ein Grundstock an Mehl, Reis, Nudeln, Bohnen und Linsen war immer vorhanden und wir deckten uns vor l?ngeren Etappen in die Ein?de mit langlebigem Gemüse wie M?hren, Kohl oder Kürbis ein. Irgendwann war aber auch das verbraucht und wir mussten auf Dosengemüse zurückgreifen. Frische Sachen wie K?se, Joghurt oder Milch gab es nur für einige Tage nach Supermarktbesuch – also nicht sooft – und waren deswegen Luxusartikel. Umso mehr haben wir uns dann gefreut, wenn wir mit der Harpune einen Fisch erlegen konnten. Wir hatten einen 550 Liter Wassertank an Bord von SOLEA, welcher knapp einen Monat für 2 Personen reichte. Einmal im Monat mussten wir also eine Sü?wasserquelle finden, um den Tank aufzufüllen. Die Spüle in der Küche hatte drei Wasserh?hne: einen für Salzwasser, einen für ungefiltertes Sü?wasser und einen für gefiltertes Sü?wasser zum Trinken. Um Wasser zu sparen, verwendeten wir, sooft es ging, das Salzwasser aus dem Meer – zum Abwaschen und zum Kochen zum Beispiel. Die Dusche war ein Gartenschlauch am Heck des Bootes, also eine Kaltwasser-Freiluft-Dusche. Es gab zwei Toiletten an Bord, welche mit Handpumpe bedient wurden, die das Meerwasser zur Spülung hinaufpumpten. Zur Stromgewinnung war SOLEJA mit Solarplatten und einem Windrad ausgestattet. Bevor man also den Fernseher einschaltete oder den Staubsauger anschmiss, ging immer ein routinem??iger Blick zur Stromst?rkeanzeige der Batterie. Da es aber in der Südsee üblicherweise nicht an Sonne oder Wind mangelt, hatten wir diesbezüglich kaum Probleme. Und wenn doch, gab es noch einen Notfallgenerator. Fernsehprogramm oder Internet gab es nicht, aber Laurent hatte mehrere Festplatten voll mit englischen und franz?sischen Filmen, sodass wir unsere Abende meist mit Filmschauen verbrachten, wenn wir keinen Besuch hatten. Abendessen gab es meist schon gegen 18 Uhr, da die Sonne in den Tropen 18 Uhr untergeht und es dann schnell dunkel wird. Und weil sich alle Mahlzeiten wegen des frühen Frühstücks nach vorne verschoben. Den Film schalteten wir gegen 19 Uhr ein und ab 21 Uhr ging es ins Bett. Verrückt, wie sich der Tagesrhythmus in den Tropen ?ndert. Aber auf einem Segelboot macht es wirklich Sinn, mit der Sonne zu leben. Und es war sch?n, sich die Abende mit sinnvolleren Aktivit?ten zu vertreiben. Entweder haben wir interessante Gespr?che geführt (mit uns oder mit Segelfreunden), haben einen Film geschaut oder gelesen. Oder geschlafen. Kein ewiges Zeitvergeuden im Internet und kein TV-Gezappe.

Der Kapit?n auf dem Aussichtsposten
Blick in den Bug: Salon mit Küche (rechts) und „Chart table“ mit GPS, Funkger?t, Radar etc. (links)
Küche mit Gasherd, Tür in eine der drei Doppelkajüten (Mitte) und Treppe ins Cockpit
Badezimmer
Cockpit

Bevor wir Franz?sisch-Polynesien verlie?en, hatten wir für 2 Wochen im Rahmen einer Chartertour ein amerikanisches Paar zu Gast an Bord. Wir zeigten Catherine und Greg unsere Lieblingsecken der franz?sisch-polynesischen Inseln, die wir im M?rz entdeckt hatten. Wir segelten also noch einmal über Moorea, Huahine und Tahaa nach Bora Bora. Auf Moorea erklommen wir einen Berg mit wundersch?ner Aussicht auf die Opunohu Bucht und schnorchelten mit Stachelrochen und Haien. Da die Stachelrochen an dieser Stelle für die Touristen gefüttert werden, waren sie überhaupt nicht scheu und kletterten regelrecht an uns Menschen hoch. Nicht ganz ungef?hrlich und ein bisschen eklig fand‘ ich den Anblick der flachen Rochengesichter mit ihren gierigen M?ulern auch. Der Rochen stellt einen der Schutzgeister für die Polynesier dar und so haben wir dort Tahitianer gesehen, die innig mit ihnen kuschelten. Das war wiederum witzig.

Blick auf Opunohu Bucht (eines der Boote ist SOLEJA)
Wei?e Sandstr?nde, Palmen…
und glasklares, warmes Wasser

Auf dem 12-stündigen Segelt?rn von Moorea nach Huahine sahen wir am frühen Morgen Buckelwale in der N?he unseres Bootes. Catherine, Greg und ich wurden von den aufgeregten Rufen von Laurent geweckt und konnten dann mit einem Kaffee in der Hand das Spektakel beobachten. Auf Huahine besuchten wir marae, alte polynesische Tempel, deren Alter und Zweck noch immer umstritten sind, und fütterten blinde Aale mit blauen Augen. Diese Aale gibt es angeblich nur in diesem einen Fluss in dem Dorf Faie auf Huahine und sie gelten dort als heilig, da sie die Seelen der verstorbenen Inselbewohner verk?rpern sollen. Wenn ich die auf Menschen kletternden Rochen schon eklig fand, waren diese blinden riesigen Kreaturen wirklich widerlich. An einem Sonntag gingen wir zu ma’a tahiti, einem traditionellen Sonntagsfest nach der Kirche, wo verschiedene polynesische K?stlichkeiten in einem Erdofen (Ahima’a) zubereitet wurden, zum Beispiel Poisson cru, Riesenmuscheln, Taro, Brotfrucht und Kochbananen. Typische Gewürze sind Vanille und Kokos(milch). Das Essen wurde musikalisch begleitet von Ukulele-spielenden dicken Tahitianern. Insgesamt war es also schon touristisch, aber trotzdem sch?n und vor allem lecker.

marae (Tempel) in Maeva, Huahine
Heiliger Aal in Faie, Huahine
Avea Bucht, Huahine
Sonntags ist der Tag für ma’a tahiti

Auf der Segeletappe von Huahine nach Tahaa kam eine Gruppe Delphine vorbei, um mit unserem Boot zu spielen. Wir beobachteten sie eine Weile und dann wollten Catherine und ich mit ihnen schnorcheln. Leider ergriffen sie die Flucht, als ich in meiner Eile unbeholfen mit den Flossen ins Wasser klatschte. Aufgeben wollten wir nicht sofort, also schmiss Laurent ein Seil ins Wasser, an dem Catherine und ich uns festhielten, und so wurden wir hinter dem Boot hergezogen, w?hrend es auf der Suche nach den Delphinen durch die Bucht zirkelte. Die Delphine fanden wir leider nicht wieder, aber mit ca. 10 km/h durch eine türkisblaue Lagune gezogen zu werden, machte auch Spa?! Auf Tahaa unternahmen wir eine Wanderung quer über die Insel durch die dichte tropische Vegetation mit Kokospalmen und Bananenstauden. Ab und zu lichtete sich das dichte Grün und wir hatten tolle Aussichten auf leuchtend türkise Buchten. Wir schnorcheltem im Jardin du corail (Korallengarten), das ist ein Kanal zwischen zwei der vielen kleinen motus (Inseln), die den Korallenring um Tahaa’s Lagune s?umen. Hier herrscht eine ziemlich starke Str?mung, sodass man sich einfach durch das Wunderland voller bunter Fische und Korallen treiben lassen kann.

Besuch von Delphinen
Wanderung durch das dichte Grün
motus (Inseln) auf dem die Lagune umgebendem Korallenriff

Den Abschluss des Segelt?rns mit Catherine und Greg bildete Bora Bora. Obwohl mit Abstand die touristischste der Inseln Franz?sisch-Polynesiens, ist Bora Bora trotzdem eine Südsee-Trauminsel aus dem Bilderbuch. Besonders eindrücklich ist das markante zentrale Felsmassiv, welches von Wolken umspielt wird und aus jedem WInkel anders aussieht. Und natürlich die glasklare türkis-blaue Lagune… aber das traumhaft sch?ne Wasser habe ich ja schon ?fter erw?hnt. Daran konnte ich mich aber auch nach Monaten in der Südsee nicht sattsehen.

Mount Otemanu auf Bora Bora
Und noch einmal: die unglaublich klare und hellblaue Lagune von Bora Bora

Peru

Von La Paz im Norden Boliviens fuhr ich mit dem Bus nach Puno am Titikakasee und von dort weiter nach Arequipa im Südosten von Peru. In Arequipa traf ich meine Mama, die 4 Wochen lang mit mir durch Peru reisen würde. Eigentlich wollte ich mit dem Nachtbus von Puno nach Arequipa fahren, bin dann aber spontan in einen Nachmittagsbus gehüpft, weil ich keine Lust hatte, um 4 Uhr morgens anzukommen. Also war ich einen Tag vor meiner Mama in Arequipa. Weil ich noch keine peruanische SIM-Karte und damit keine mobilen Daten auf dem Handy hatte und noch kein Hostel gebucht hatte, bin ich mit dem Taxi zum Hauptplatz gefahren und habe im erstbesten Hostel nach einem Bett gefragt. Das hat alles ganz gut geklappt, au?er dass ich vom Taxifahrer abgezockt wurde, weil ich keine Ahnung hatte, wie viel ein peruanischer Sol wert war. Arequipa liegt am Fu?e der Anden und wird von drei über 5000 m hohen Vulkanen überragt. Aus wei?em Vulkangestein gebaut, wird Arequipa auch „die wei?e Stadt“ genannt. Man spaziert über glatt getretene Kopfsteinpflasterstra?en, die von wei?en Kolonialh?usern ges?umt sind und der gro?e Hauptplatz Plaza de Armas mit der imposanten Kathedrale ist von wei?en Arkaden umgeben. Wir haben 4 Tage in Arequipa verbracht, in denen wir die Stadt erkundet, super lecker gegessen und Alpaka-Klamotten geschoppt haben. Au?erdem waren wir beim Wildwasserrafting und haben einen peruanischen Kochkurs gemacht. Die peruanische Küche ist wirklich gut! Zu meinen Lieblingsgerichten geh?rten Causa Lime?a (ein Kartoffel-Limetten-Küchlein mit variablen Füllungen wie Avocado oder Krabben), Lomo Saltado (im Wok gebratenes Rindfleisch) und Ceviche (roher Fisch mit Limetten und Koriander). Ceviche sollte ich allerdings nur dreimal essen – danach nie wieder. Das bei den Peruanern sehr beliebte Cuy (Meerschweinchen) hat uns nicht sehr geschmeckt: das Fleisch hat eine seltsame Konsistenz und an den Knochen ist kaum was dran. Alpaka ist dagegen ziemlich lecker.

Nach Arequipa ging es für 2 Tage in den Colca-Canyon zur Condor-Beobachtung. Der Colca-Canyon ist mit 3.270 m einer der tiefsten Canyons der Welt und einer der wenigen Orte, wo man Anden-Condore aus n?chster N?he beobachten kann. Neben den Condoren ist das Tal an sich schon sehenswert. Es ist voller bunter Felder, die in Steinterrassen aus der Pr?-Inka Zeit zum Colca-Fluss hin angeordnet sind. Hier werden Mais, Kartoffeln, Quinoa und alle m?glichen weiteren Gemüsesorten angebaut. Nach einer ?bernachtung in einer Mountain-Lodge auf 3600 m waren am n?chsten Morgen um 7 Uhr die ersten Touristen am Beobachtungspunkt direkt am Abgrund des Canyons und sahen die Condore nur wenige Meter über uns kreisen. Mit einer Flügelspannweite von knapp 3 m sind das wirklich beeindruckende Tiere. In der Inka-Mythologie repr?sentieren die Condore das Himmelreich und finden sich somit in vielen Darstellungen in Architektur und Textilien wider. Die Unterwelt und die Erde werden von Schlange bzw. Puma repr?sentiert. Nach der Condorbeobachtung sind wir mit Fahrr?dern durch das grüne Tal gefahren, die Condore immer mal wieder über uns kreisend. Zum Glück ging die Strecke gr??tenteils bergab, denn Bergauffahren erwies sich auf dieser H?he als wahre Herausforderung. Der Einzige aus unserer Gruppe ohne Kurzatmigkeit auf den 15 min bergauf war ein durchtrainierter englischer Triathlet.

Unser n?chstes Ziel war der Titikakasee. Dafür ging es vom Colca-Canyon (zurück) nach Puno auf 3900 m, d.h. sehr kalte N?chte und eine kurzatmige Mama. Wir verbrachten zwei N?chte auf einer der unz?hligen schwimmenden Schilf-Inseln. Diese Inseln wurden ursprünglich von dem Volk der Uros errichtet, um den Inka zu entfliehen, die sich im 15. Jhrd. im gesamten Andenraum ausbreiteten. Auf dem H?hepunkt ihrer Macht ragte das Inkareich vom Süden des heutigen Kolumbiens bis in den Norden von Argentinien. Unsere Gastgeber waren ein reizendes kleines Ehepaar, Gloria und José, die sich liebevoll um uns kümmerten und bewirteten. Natürlich sprachen sie haupts?chlich Spanisch, aber meine Spanischkenntnisse reichten aus, um Gloria’s neugierigen Fragen über unsere Familie standzuhalten. In den Schilfhütten gab es weder Heizung noch Warmwasser, aber unter 7 Decken und mit einer zur W?rmflasche umfunktionierten Plastikflasche überstanden wir die N?chte ohne zu frieren. Mama entledigte sich sogar einiger Deckenschichten, weil der Haufen insgesamt ziemlich schwer und erdrückend war. José gab uns eine kleine Bootstour durch das schwimmende Uros-Dorf, wo es sogar eine Grundschule und ein kleines medizinisches Zentrum gibt. Anschlie?end fuhren wir mit einem gr??eren Boot knapp 2 h auf den See hinaus auf die Insel Taquile. Hier leben die Menschen noch sehr traditionell und versorgen sich selbstst?ndig durch Terassenfeldbau und Fischerei. Bekannt ist Taquile für seine Weberei und Strickerei, die von den M?nnern durchgeführt wird. Man kann den Ehestatus der M?nner an ihren Strickmützen erkennen: rot für verheiratet und wei? für ledig. Wieder „zuhause“ angekommen, kleidete Gloria uns in traditionelle, sehr farbenfrohe Klamotten und der Neffe der Familie ruderte mit uns zum Fischen und Schilfschneiden auf den See hinaus. Mama wurde zu diesem Zeitpunkt leider von der H?henkrankheit dahin gerafft und lag mit Kopfschmerzen im Bett, also war ich mit einem netten spanischen Ehepaar und dem Neffen allein auf dem See unterwegs. Den ganzen Tag strahlte der Himmel in einem beeindruckenden Blau und auch der Sonnenuntergang auf dem See hatte etwas Magisches. Am n?chsten Morgen bestiegen wir in aller Früh den Bus nach Cusco. Dafür mussten wir uns um 4:30 Uhr morgens unter unserem warmen Deckenberg hervor qu?len und wurden 5 Uhr von José an Land gebracht. Das erforderte mal wieder alle meine Klamottenschichten, inklusive Mütze und Handschuhe, aber wir konnten den Sonnenaufgang über dem dampfenden See und dem mit Eis bedeckten Schilf bestaunen.

In Cusco, der ehemaligen Hauptstadt der Inka, blieben wir eine Woche. Einen Tag davon verbrachte ich allerdings hundeelend im Bett nach einer Ceviche-Vergiftung. Zu unserem Glück fand in dieser Woche das wichtigste Fest der Inka statt – Inti Raymi, das Fest zu Ehren des Sonnengottes Inti. Ich hatte davon zuf?llig zwei Wochen vorher erfahren und so konnten Mama und ich noch Last-Minute Tickets ergattern. Auch waren s?mtliche Hotels und Hostels in dieser Woche ausgebucht, weil nicht nur Touristen aus aller Welt, sondern auch Peruaner aus dem ganzen Land zu diesem Festival nach Cusco str?mten. Wir fanden aber ein nettes, kleines, von einer Familie betriebenes Hotel. Der H?hepunkt des Festes – die Nachstellung der Inka-Zeremonie zu Ehren des Sonnengottes – fand einen Tag nach unserer Ankunft in Cusco statt. Aber schon in der Woche vorher wurde auf den Stra?en getanzt und gefeiert. Vor der Hauptzeremonie in der Tempelanlage Sacsayhuamán fand auf dem zentralen Plaza de Armas ein Umzug statt. Hunderte Menschen sa?en um den Platz herum unter den Arkaden auf kleinen Schemeln, auf Stufen oder dem Boden. Wir haben uns Schemel ausgeliehen und uns in die erste Reihe unter eine peruanische Familie mit Gro?mutter und drei Kleinkindern gemischt. Anschlie?end sind wir zur Sonnengott-Zeremonie nach Sacsayhuamán gefahren. Insgesamt war das schon eine sehr touristische Veranstaltung, aber trotzdem beeindruckend. Hunderte Schauspieler in farbenfrohen, spektakul?ren Kostümen stellten eine traditionelle Inka-Zeremonie nach, in deren Mittelpunkt der Inkaherrscher und bedeutende Priester standen. So wurde u.a. ein schwarzes Lama geopfert, um in dessen Eingeweiden die Zukunft des Inkareiches vorher zu sagen (natürlich wurde dafür kein echtes Lama get?tet). Au?erdem wurde viel getanzt. Es wurde in Quechua, der Sprache der Inka gesprochen, aber wir bekamen ein kleines Heft für die ?bersetzung. Cusco ist eine wirkliche hübsche Stadt, in der man problemlos einige Zeit verbringen kann. Es liegt umgeben von Bergen in einem Tal und das Stadtbild l?sst seine lange und wilde Geschichte erahnen. Wie in vielen südamerikanischen St?dten gibt es einen weitl?ufigen Plaza de Armas im Zentrum. Dort findet sich die imposante Kathedrale der Stadt, aber über Cusco verteilt gibt es viele weitere Kirchen, alle auf alten Inka-Tempeln errichtet. Am eindrücklichsten ist dies an der Iglesia de Santo Domingo sichtbar, die auf dem wichtigsten Heiligtum der Inka – dem Sonnentempel Coricancha – errichtet wurde. Unter den Klostermauern erkennt man deutlich die alten massiven Inkasteine, welche die Jahrhunderte ohne M?rtel oder Zement überstanden. Auch wenn man durch die engen gewundenen Gassen schlendert, erkennt man unter den Wohnh?usern oft ?berreste alter Inkamauern. Als Hauptstadt des Inkareiches soll Cusco sehr wohlhabend und beeindruckend gewesen sein. Schrecklich, wenn man bedenkt, wieviel bei der Eroberung durch die Spanier verloren gegangen ist. Auch heute noch werden bei Grabungen, z.B. zuletzt beim Bau einer neuen Kanalisation, gro?e Inkasch?tze gefunden. Neben Machu Picchu war Cusco jedoch der touristischste Ort meiner Südamerikareise. Um den Plaza de Armas kann man keine 50 m gehen, ohne dass einem Touren jeder Art, Schmuck, Bilder oder Alpakatextilien angeboten werden. ?ber die Stadt verteilt finden sich au?erdem Frauen und M?dchen in bunten traditionellen Kleidern mit Baby-Lamas, die sich mit Touristen fotografieren lassen. Auch von denen wird man z.T. regelrecht verfolgt und sie werden aggressiv, wenn sie auch nur zuf?llig in der Ecke eines Fotos abgebildet sind und man sie dafür nicht bezahlt. Das mildert die Sch?nheit Cuscos etwas, aber die Stadt ist trotzdem absolut sehenswert.

Im Heiligen Tal um Cusco herum finden sich viele Inkaruinen, die man erkunden kann. Wir unternahmen einen Tagesausflug nach Pisac, eine knappe Stunde von Cusco entfernt. ?ber dem Dorf thronen auf einem Berg die ?berreste einer Inkasiedlung. Im Vergleich zu Machu Picchu waren hier deutlich weniger Touristen und man konnte sich frei zwischen den Ruinen bewegen, wobei man sich manchmal allein zwischen den Mauern widerfand. Aus allen m?glichen Winkeln hatte man eine wundersch?ne Aussicht über das Tal. W?hrend wir uns bergauf mit einem anderen deutschen Mutter-Tochter-Paar ein Taxi geteilt hatten, sind wir bergab einen einsamen Pfad entlang gewandert. Hier stie?en wir auf weitere ?berreste alter H?user und Steinterrassen, wobei wir komplett allein waren.

Ein Highlight des Heiligen Tales und der ganzen Peru-Reise war die Ruinenstadt Machu Picchu. Dafür nahmen wir eine ziemliche Odyssee auf uns: 3:40 Uhr Aufstehen, 4:00 Uhr mit dem Minibus nach Ollantaytambo, 6:20 Uhr mit dem Zug nach Aguas Calientes und 9 Uhr auf eine weitere 30-minütige Busfahrt von Aguas Calientes hinauf nach Machu Picchu. Bei Ankunft in Ollantaytambo regnete es in Str?men, zum ersten Mal überhaupt seit unserer Ankunft in Peru, und wir fürchteten, dass der lang ersehnte Tag ins Wasser fallen würde. Glücklicherweise klarte es jedoch auf, je n?her wir Machu Picchu kamen. Es besuchen t?glich 6.000 Touristen das UNESCO-Weltkulturerbe, doch trotz der Menschenmassen hat dieser Ort etwas Magisches. Allein die Lage auf einem Bergrücken auf 2.500 m H?he umgeben von Nebel gibt der ganzen Anlage etwas Mystisches. Es ist einfach beeindruckend, wie gro? die alte Ruinenstadt ist und wie gut erhalten die Geb?ude sind. Man kann sich sehr gut vorstellen, wie hier vor 500 Jahren die Inka ihre Felder bestellten, in Tempeln beteten und auf dem Schauplatz ihre Zeremonien abhielten. Es ist absolut nachvollziehbar, warum Machu Picchu zu den Sieben Neuen Weltwundern gez?hlt wird.

Nach Machu Picchu, Pisac und Cusco hatten wir genug von Inkaruinen und entschieden uns für einen Landschafts- und Kulturwechsel. Dafür flogen wir von Cusco nach Madre de Dios im Amazonasgebiet. Nach nur einer Stunde Flug lie?en wir die hohen Berge der Anden und die kalten N?chte hinter uns und fanden uns im tropisch feuchten Klima des Regenwaldes wider. Wir entschieden uns für drei Tage Abenteuer und drei Tage Entspannung, d.h. drei Tage in einer einfachen Dschungel-Lodge und drei Tage in einem schicken Hotel mit Pool (immerhin mussten die hei?en Temperaturen genutzt werden). Nach unserer Ankunft ging es also zuerst 2 Stunden mit dem Boot den Madre de Dios – Fluss hinauf in den Regenwald. Unsere K?chin brachten wir mit dem Boot aus der Stadt mit und unser Guide, Robert, empfing uns in der Lodge. Es gab 6 Bungalows in der Lodge, doch zu unserer ?berraschung waren wir die einzigen G?ste. Also war Robert unser ganz pers?nlicher Guide und die K?chin kochte nur für uns dreimal t?glich. Zum Mittag- und Abendessen gab es immer drei G?nge mit einer Suppe als Vorspeise und leckeren Früchten wie Ananas, Papaya und Wassermelone als Nachtisch. Es waren einfache Gerichte mit lokalen Zutaten, z.B. Kochbanane oder Fische aus dem Fluss, und alles sehr reichlich und lecker. Gute alte peruanische Dschungel-Hausmannskost. Robert hat uns in den drei Tagen viel gezeigt. Wir sind durch den Dschungel spaziert, um die Flora und Fauna des Amazonas zu entdecken und haben eine n?chtliche Bootsfahrt unternommen, um nachtaktive wei?e Kaimane zu sehen. Wir haben eine ?kologische Farm besucht, wo einheimische Frauen kreuz und quer alle m?glichen Nutzpflanzen des Dschungels pflanzen. Weil es sich wirtschaftlich nicht lohnt, die Früchte den langen Weg über den Fluss in die Stadt zu transportieren, liegt die H?lfte der Früchte auf dem Boden und vergammelt. Dies erlaubte es uns aber, uns an den Mandarinen, Bananen, Kakaobohnen und Grapefruits an den B?umen zu bedienen. Einen weiteren Nachmittag besuchten wir ein altes Amazonas-Indianer Ehepaar, das in einem Haus am Fluss wohnt und sich allein von den Pflanzen und Tieren des Dschungels ern?hrt, d.h. mit 80 Jahren noch Gartenarbeit, Fischen und Jagen. Der Gro?vater sprach gebrochenes Spanisch. Das und seine Sesshaftigkeit zeigten, dass er im Vergleich zu seinen Eltern schon deutlich angepasster an die moderne Zivilisation war. Seine Eltern lebten als Nomaden im Urwald, sprachen lediglich die Sprache ihres Stammes und gingen auf Menschenjagd. Seine (14!) Kinder dagegen leben ein modernes Leben in der Stadt. Faszinierend, wie sich die Lebensweise innherhalb von zwei Generationen ?ndern kann. Besonders spannend war jedoch der Ausflug zum Lake Sandoval, wo man Riesenotter beobachten kann. Dafür sind wir nach einer 40-minütigen Bootsfahrt eine Stunde durch den Dschungel bis zu einem kleinen Bootsanleger marschiert, wobei wir auf dem Weg drei verschiedene Affenarten in den Baumwipfeln ersp?ht haben. Anschlie?end ging es mit einem Kanu durchs dichte Grün und dann auf den See hinaus. Wir verfolgten eine Gruppe Riesenotter, bis diese sich im Dickicht am Ufer versteckten. Als wir lautes Geschrei und Gepl?tscher h?rten, dachten wir, die Otter würden untereinander k?mpfen. Doch dann schoss ein ca. 5 m langer Kaiman keine 2 m von unserem Kanu entfernt aus dem Wasser. Ich starrte noch ganz fasziniert auf den Otter in seinem Maul und wurde erst von Robert’s erschrockenen Rufen „Go, go, go!“ zum Paddeln angeregt. In den drei Tagen im schicken Hotel lag unser Schwerpunkt auf Chillen am Pool, doch ein bisschen Action musste sein und zwar in Form von über 30 m hohe H?ngebrücken Klettern und Zip-Lining. Wir waren mal wieder die einzigen G?ste und ganz vertrauenserweckend sahen die Zip-Line und der kleine Sicherheitseinweiser nicht aus. Als dieser mich gerade in den Seilen verankerte, fragte Mama noch skeptisch: „Wollen wir das wirklich machen?“, aber wir zogen es durch und hatten riesigen Spa?.

Wie bereits erw?hnt, hatten wir eigentlich genug von Ruinen, aber in Madre de Dios trafen wir ein sehr nettes deutsches Paar, das uns von der Ruinenstadt Kuelap im Norden des Landes erz?hlte. Nach einiger Internet-Recherche waren wir überzeugt und entschieden unsere letzten Tage in Peru in Chachapoyas im Norden zu verbringen. Dafür mussten wir in ein ziemlich kleines Propellerflugzeug steigen, wo jeder Passagier nur 10 kg Gep?ck mitnehmen durfte und beim Einchecken gewogen wurde. In der Region um Chachapoyas lebten die gleichnamigen Chachapoya, ein indigenes Volk, das ?lter ist als die Inka und das wie die meisten Andenv?lker im 15. Jrdh. von den Inka erobert wurde. Es hat mich überrascht zu erfahren, dass Hochphase der Inka nur 100 Jahre gedauert hat, wenn man bedenkt, wie bekannt sie heutzutage sind. Schon Jahrtausende vorher lebten in den Anden weitere V?lker, z.T. ?hnlich hoch entwickelt wie die Inka, von denen kaum jemand wei?. Im Tal um die Stadt Chachapoyas herum findet man viele Relikte der Chachapoya-Kultur. In den 1990er Jahren wurden 219 Mumien entdeckt, die heute im Museum in Leymebamba ausgestellt sind. Schon im Inka-Museum in Cusco hatten wir Mumien gesehen und man erkennt zwar, dass die Mumifizierungskünste der Chachapoya weniger weit fortgeschritten waren als die der Inka, aber in Leymebamba werden auch Sch?del mit heilenden Trepanationsl?chern ausgestellt. Die Chachapoya haben sich also schon an Gehirnoperationen gewagt. Weitere ?berreste in Form von Mausoleen findet man in Revash. Ausgangspunkt ist das winzige, idyllische Dorf San Bartolo, das auf einem Berg auf 2.800 m H?he liegt. Von hier geht es auf eine ca. 3 km Wanderung einen Canyon entlang mit tollen Ausblicken, bis man auf die in eine Felswand gehauenen H?uschen trifft, die als Mausoleen gedient haben. Wir haben uns spa?eshalber kleine Pferdchen für den Weg geg?nnt, aber mein ungeübter Hintern tat mir nach einer Stunde Reiten mit starken bergauf- und bergab Gef?lle so weh, dass ich mein Pferd auf dem Rückweg erleichtert einer ersch?pften Frau überlassen habe. Ein weiterer Tagesausflug ging natürlich nach Kuelap, auch „Machu Picchu des Nordens“ genannt. Der Titel ist nachvollziehbar, denn mit einer L?nge von knapp 600 m, einer Breite von 110 m und 20 m hohen Stadtmauern ist die auf einem steilen Bergrücken gelegene Ruinenstadt schon ziemlich beeindruckend. Die Chachapoya lebten hier über 1000 Jahre bis zur Eroberung durch die Spanier. Noch wird dieser Ort von den Touristenmassen verschont, doch mit der 2017 er?ffneten Seilbahn werden diese sicher bald eintreffen. Insgesamt hat sich unser spontaner Ausflug in den Norden des Landes echt gelohnt. Die Stadt Chachapoyas ist eine ruhige l?ndliche Kleinstadt, die touristisch nicht viel zu bieten hat. Doch gerade das macht ihren Charme aus, da man hier im Vergleich zu Cusco das Gefühl hat, das wahre Peru zu erleben. Wir verbrachten unsere Zeit entweder auf dem Markt, wo wir uns mit lokalem Obst und Gemüse eingedeckt haben, oder auf dem zentralen Platz (der überraschenderweise Plaza de Armas hei?t), wo wir das Treiben beobachtet haben.

In Lima verbrachten wir zwischen unseren Aufenthalten in Madre de Dios und Chachapoyas zwei N?chte und ich verbrachte dort weitere drei Tage, nachdem meine Mama nach Deutschland abgereist war. Viel Positives kann ich über Peru’s Hauptstadt nicht sagen. Eine moderne Gro?stadt, wie sie überall auf der Welt sein kann und au?erdem kalt und von einer grauen Glocke aus Smog und Nebel vom Pazifik bedeckt. Der alternative Stadtteil Barranco hat mir am Besten gefallen, war aber nach Buenos Aires und Valparaíso auch nichts Besonderes. Erw?hnenswert ist einzig, dass wir das Finale des Coppa America zwischen Peru und Brasilien auf dem Plaza de Armas erleben konnten. Peru war zum ersten Mal seit über 50 Jahren wieder beim Coppa America dabei und hat es dann sogar ins Finale geschafft. Leider hat Brasilien gewonnen, aber die Stimmung in der Stadt und auf dem Platz war schon cool. Die Südamerikaner und Fu?ball sind wirklich was Besonderes.

San Francisco

Meine Reisepl?ne hatten sich inzwischen ge?ndert und statt über den Landweg nach Ecuador weiter zu reisen, stieg ich in ein Flugzeug nach Panama und dann in ein zweites nach San Francisco. Ich hatte mich n?mlich dazu entschieden, zurück nach Tahiti zu fliegen, um mit Laurent auf ein weiteres Segelabenteuer aufzubrechen. Wir würden von Tahiti über Cook-Island, Tonga und Fiji nach Neukaledonien segeln.

Doch zun?chst verbrachte ich zwei N?chte in San Francisco. Nachdem ich über zwei Stunden in der Passkontrolle am Flughafen feststeckte und dann knapp zwei Stunden vom Flughafen bis zum Hostel brauchte, blieb vom ersten Tag nicht mehr viel übrig. Also verbrachte ich einen entspannten Abend im Hostel, einer alten Milit?rkaserne im Fort Mason direkt am Fisherman’s Wharf. Noch an südamerikanische Verh?ltnisse gew?hnt, taten mir die Preise in San Francisco besonders weh. Ich bezahlte 43 pro Nacht, um in einem Schlafsaal mit 22 Betten zu schlafen. Das war das mit Abstand teuerste Hostel auf meiner ganzen Reise, aber die billigste Option, die ich in San Francisco finden konnte. Aber das Hostel war echt cool. Der Schlafsaal, die Badezimmer, der Speisesaal – alles sah aus wie in einem alten amerikanischen Milit?rfilm. Es h?tte mich nicht gewundert, wenn ich morgens von einem drill instructor mit Trillerpfeife geweckt worden w?re. Am n?chsten Tag lieh ich mir ein Fahrrad aus und radelte zur Golden Gate Bridge. Ich hatte wirklich Glück mit dem Wetter und konnte die Brücke im Sonnenschein sehen, und nicht vom Nebel verborgen wie bei meinem letzten Besuch in San Francisco. Anschlie?end radelte ich zum Fisherman’s Wharf und g?nnte mir frittierten Fisch mit Pommes – lecker! Die Zubereitung fettigen Essen’s haben die Amerikaner echt perfektioniert. Nachmittags radelte ich kreuz und quer durch die Stadt. Dabei hatte ich vergessen, wie steil die Stra?en San Francisco’s sind! Nach knapp 7 Monaten mit 2 Sommerkleidern, 2 Paar Shorts und 3 Tops (was laut Packempfehlungen schon zu viel ist) hatte ich genug von meinen Sommerklamotten und kaufte mir im Shopping-Paradies einer amerikanischen Mall das ein oder andere neue Teil. Auch ersetzte ich ein paar Dinge, die ich unterwegs verloren hatte, bevor ich in die kommerzielle Ein?de des Südpazifiks entschwinden würde. Von San Francisco ging es im Direktflug nach Papetee auf Tahiti.

So sehr ich mich auch auf Laurent, das Bootleben, die Südsee und das Segeln freute, war ein Teil von mir doch etwas traurig, dass mein Alleinreisen früher zuende ging als geplant. Es ist natürlich sch?n, seine Eindrücke mit jemandem zu teilen, aber ich habe es auch sehr genossen, meine Route allein zu bestimmen, t?glich neue, interessante Leute zu treffen und die Herausforderungen des Reisen selbstst?ndig zu meistern.

Ich schreibe diese Worte w?hrend des Sonnenuntergangs im Hafen von Fare in Huahine und in ein paar Tagen wollen wir Richtung Westen aufbrechen. Vorher müssen wir noch mehr Vorr?te kaufen, ein Segel reparieren und das Boot mit Sü?wasser auffüllen. Auf einem Segelboot zu leben ist eine komplett andere Lebensweise und ich genie?e es sehr. Es ist überraschend, wie viele Leute sich für diese Art zu leben entschieden haben. Man muss schon ein bisschen verrückt sein, um sein konventionelles Leben hinter sich zu lassen und in die Welt hinaus zu segeln, aber genau deswegen trifft man auf den Booten auf interessante Menschen mit faszinierenden Geschichten. Wahrscheinlich werde ich meine zukünftigen Erlebnisse auf einem anderen Blog festhalten, den ich zusammen mit Laurent auf Englisch und Franz?sisch schreibe. Sobald die Website gegründet ist, ver?ffentliche ich hier den Link. Bis bald!

Bolivien

Von Rio de Janeiro ging es mit dem Flugzeug nach Santa Cruz in Bolivien. Santa Cruz ist die gr??te Stadt Boliviens, wirkt aber wie eine Kleinstadt. Da es im Osten von Bolivien und damit n?her am Amazonas liegt, herrscht hier tropisches Klima. Das ist meiner Meinung nach aber schon das einzige Positive an dieser Stadt. Bis auf den sch?nen zentralen Platz mit seiner Kathedrale gibt es in Santa Cruz wenig zu sehen. Deswegen bin ich nach nur einer ?bernachtung schon mit dem Nachtbus weiter nach Sucre gefahren.

Was mich in Bolivien am meisten fasziniert hat und was sofort bei Ankunft am Flughafen auff?llt, sind die indigenen Gesichter der Menschen und die vielen Leute in traditioneller Kleidung. In Bolivien gibt es den gr??ten Anteil indigener Volksgruppen in ganz Südamerika; man sch?tzt, dass über 60% der Menschen indigener Abstammung sind. Die meisten von ihnen geh?ren zu den Quechua und Aymará. Am auff?lligsten sind dabei die Cholitas. Diese Aymará- oder Quechua-Frauen erkennt man an ihrem typischen Outfit: ein gro?er Rock (pollera) mit bis zu 10 Unterr?cken, ein Schultertuch und ein gro?er Hut im Melonenstil. Die Haare tragen sie in zwei nach hinten geflochtenen Z?pfen. Sie sehen wirklich aus wie einem anderen Jahrhundert entsprungen. Ich fand‘ die Geschichte der Hüte ziemlich witzig: In den 1920ern hat ein italienischer Herrenmodehersteller eine gro?e Lieferung von Melonenhüten nach Bolivien geschickt. Für die gro?en K?pfe der bolivianischen M?nner waren diese aber zu klein, also haben sich die Frauen die Melonenhüte angeeignet und tragen sie bis heute.

Ich habe erst sp?ter im Reiseführer gelesen, dass man in Bolivien wegen der h?ufigen Unf?lle auf keinen Fall Nachtbusse nehmen soll und wenn, dann nur Busse von einem der drei vertrauenswürdigen Unternehmen. Ich war aber einfach nur stolz auf mich, dass ich am Busbahnhof auf Spanisch verschiedene Unternehmen nach ihren Abfahrtszeiten gefragt und den besten Preis und die beste Zeit für mich gefunden hatte. So sa? ich also mit nur Einheimischen in einem etwas heruntergekommenen Bus nach Sucre, aber bis auf eine einzelne tote kleine Kakerlake hatte ich an der Fahrt nichts zu bem?ngeln. Sucre ist laut Verfassung die Hauptstadt von Bolivien, wobei die gefühlte Hauptstadt und Verwaltungshauptstadt La Paz ist. Die gut erhaltene Kolonialstadt Sucre ist UNESCO Weltkulturerbe und wird wegen ihrer wei?en Geb?ude als „Wei?e Stadt“ bezeichnet. Sie liegt auf 2.800 m H?he und ist damit gut geeignet, um sich an das hochgelegene Bolivien zu gew?hnen. Im Nachtbus habe ich einen bolivianischen Psychologiestudenten kennen gelernt. Die Konversation war aufgrund seines holprigen Englischs zwar ziemlich mühsam, aber ich h?nge mich immer gern an Einheimische, deswegen habe ich seine Einladung zum Salsatanzen angenommen. Es war eigentlich ein netter Abend, aber ganz wohl habe ich mich nicht gefühlt, weil er den Abend vermutlich als Date gesehen hat. Vielleicht war es auch Teil der südamerikanischen Macho-Kultur, dass er mein Essen bezahlt und mich nach Hause gebracht hat, jedenfalls habe ich mich nicht nochmal mit ihm getroffen, obwohl ich Lust auf Salsatanzen hatte. Auf einer walking tour durch Sucre habe ich Chicha (fermentiertes Maisbier), lokale Früchte und bolivianischen K?se und Wurst auf dem Markt probiert. Sp?ter habe ich geh?rt, dass Chicha als „Spuckebier“ bezeichnet wird, weil zur Fermentation des Mais die Amylase im Speichel genutzt wird. Ich hoffe einfach mal, dass es heutzutage anders hergestellt wird.

Meine n?chste Station war Potosí, eine Stadt auf ca. 4000 m H?he, d.h. noch mehr Kurzatmigkeit beim Bergauflaufen und noch k?ltere N?chte (bis zu -7°C!). Potosí geh?rte aufgrund seines Silberreichtums im 17. Jhrd. zu den reichsten St?dten der Welt. Doch leider kam der Reichtum nur den spanischen Kolonialherren zugute, die mit dem Silber aus dem Cerro Rico (Reicher Berg) ihr gesamtes Spanisches Reich finanziert haben. Vom 16. bis 18. Jrhd. sollen hier knapp 50.000 Tonnen reines Silber gef?rdert worden sein. Auch heute noch wird in den Minen des Cerro Rico Silber gef?rdert, nach 500 Jahren des Abbaus sind die Vorkommen jedoch fast ersch?pft und es wird auch Zinn und Eisenerz exportiert. In der Casa de la Moneda (K?nigliches Schatzhaus), wo jahrhundertelang die Münzen für das Spanische Reich gepr?gt wurden, erf?hrt man über die Geschichte der Silberf?rderung. Nach dem Besuch habe ich mich gefragt, wie es sein kann, dass ein Land mit einer so reichen Silbermine so lange so arm war. Die Ungl?ubigkeit setzte sich bei einem Besuch in den Minen fort. Die Arbeitsbedingungen für die Bergleute sind auch heute noch katastrophal. Die technische Ausrüstung wirkt jahrhundertealt und die Sicherheitsvorkehrungen sind quasi nicht existent. Minenarbeiter sterben bei Unf?llen wie Einstürzen oder Explosionen oder sie sterben mit 45 Jahren an Lungenfibrose, weil sie jahrzehntelang den Metallstaub eingeatmet haben. Es gibt Minentouren für Touristen, bei denen man den Bergarbeitern Geschenke wie Coca-Bl?tter, 96%igen Alkohol (ja, den trinken die Bergleute!), Softdrinks oder Dynamit mitbringt. Man wird vorher gewarnt, dass die Minenbesuche nichts für Menschen mit Klaustrophobie oder Asthma sind und tats?chlich war es untertage sehr beklemmend. Der Cerro Rico, der wie eine Pyramide über der Stadt thront, ist 4800 m hoch und damit liegen die Minen deutlich über 4000 m. Die Luft ist im Bergwerk also eh schon dünn und je tiefer man klettert, desto staubiger wird es. Wir haben uns auf allen vieren durch enge Tunnel gequetscht und sind wackelige Leitern hinauf und hinunter geklettert. Da f?ngt man schon an schwer zu atmen, aber ich hatte nicht das Gefühl, dass mit den Atemzügen viel Sauerstoff in die Lungen kommt. Auf jeden Fall war ich sehr froh, als wir nach knapp 2 h wieder ins Sonnenlicht gekrabbelt sind. In den Minen gibt es mehrere Schreine, an denen die Bergarbeiter die teufelartige Figur El Tío (Der Onkel) anbeten. El Tío ist der Herr der Unterwelt und hat somit die Macht über alles, was in den Minen geschieht, ob Unf?lle oder gro?e Funde. Die Arbeiter opfern Coca-Bl?tter, Alkohol und Zigaretten, um El Tío bei Laune zu halten.

Potosí selbst ist auch sehr sehenswert. Die Gassen und Kolonialh?user erinnern an den einstigen Wohlstand der Stadt, wirken jetzt aber zum gr??ten Teil heruntergekommen. Heute ist hier niemand mehr reich. Die Bewohner haben runzlige, wettergegerbte Gesichter und tragen abgenutze Kleidung. An den Stra?en verkaufen Cholitas ihre Waren wie Orangen, Socken und Popcorn. Es gibt eine hübsche zentrale Plaza mit einer Kathedrale und wie in allen spanischen Kolonialst?dten noch viele kleinere Kirchen und Kl?ster. Auf dem San Francisco Kloster kann man ohne irgendwelche Sicherheitsvorkehrungen auf dem Dach herumklettern und sch?ne Aussichten genie?en. Sowas w?re in Europa nicht m?glich… Am zweiten Abend in Potosí habe ich dann doch die H?he gespürt. Ich hatte Kopfschmerzen und war total müde und ersch?pft. Da die Einheimischen in diesem Falle auf Coca-Bl?tter schw?ren, habe ich mir auf dem Markt ein Tütchen gekauft und mich im Coca-Kauen geübt. Nach einer halben Stunde wurde mir allerdings schlecht von dem Geschmack und ich habe die Bl?tter ausgespuckt. Ich bin an dem Abend dann einfach sehr früh ins Bett gegangen und am n?chsten Tag ging es mir wieder gut. Die Coca-Bl?tter habe ich nach einigen Tagen weggeschmissen, weil mein ganzer Rucksack danach gestunken hat. Das Verh?ltnis von Coca zu Cocain soll übrigens 500:1 sein, d.h. man braucht 500 g Coca-Bl?tter für 1 g Cocain.

Von Potosí ging es weiter nach Tupiza in der N?he der argentinischen Grenze. Ich hatte unterwegs von vielen Reisenden geh?rt, dass die Touren durch die Uyuni-Salzwüste, die in Tupiza starten, besser w?ren als die Touren aus Uyuni. Man sei einen Tag l?nger in der Wüste unterwegs und es sei weniger überlaufen. Mit diesen Argumenten hatte ich eine Japanerin am Vorabend in Potosí von der Tour überzeugt, sodass sie mir spontan nach Tupiza folgte. Tats?chlich waren wir dann nur zu dritt im Jeep: die Japanerin, ein Holl?nder und ich, zusammen mit unserem Guide und dem Koch. Wir waren insgesamt 4 Tage unterwegs und verbrachten die N?chte in einfachen Unterkünften (ohne Heizungen!) in eisigen H?hen. Die erste Nacht auf 4200 m war mit ca. -15°C die k?lteste Nacht. Zum Glück hatten wir dicke Schlafs?cke ausgeliehen! Ich habe in allen Klamotten geschlafen, die mein Rucksack zu bieten hatte, inklusive dicker Skiunterw?sche, Daunenjacke und Pudelmütze. Zusammen mit 5 dicken Decken und dem Schlafsack habe ich so auch nicht gefroren. Allerdings hat nicht mehr als meine Nasenspitze aus meinem warmen Kokon hervor geragt und jeder Gang zur Toilette war wirklich grausam. Die folgenden N?chte auf 3900 m und 3700 m waren dagegen schon fast ein Klacks. Ich konnte sogar ohne Daunenjacke und Mütze schlafen. Die Luft in Bolivien ist allgemein sehr trocken, aber auf der Wüstentour war es besonders schlimm. Mund und Nase sind st?ndig trocken und wegen des omnipr?senten Staubes haben sich meine Haare nach 4 Tagen wie Drahtwolle angefühlt. Aber die Eisesk?lte und staubtrockene Luft haben sich auf jeden Fall gelohnt! Wir sind durch wundersch?ne und skurrile Landschaften gefahren. Wir haben alle m?glichen Wüstenformen durchquert (u.a. die sogenannte Dalí-Wüste); haben grüne, blaue und rote Lagunen (mit Flamingos) besucht; haben auf knapp 5.000 m ein geothermalisches Feld mit Geysiren erkundet; sind durch die Ruinen einer verlassenen ehemaligen Silberminen-Stadt geschlendert und haben verrückte Felsformationen und tiefe Canyons gesehen. Dabei haben wir unz?hlige wilde Lamas und reizende Einheimische getroffen, u.a. eine alte Dame, die ein Baby-Gürteltier geknuddelt hat. Zum Abschluss des Abenteuers haben wir am vierten Tag den Sonnenaufgang in der Uyuni-Salzwüste angeschaut. Das war zwar wieder tierisch kalt, aber trotzdem wundersch?n! Nach dem Sonnenaufgang gab’s dann Frühstück in der Wüste. Da lernt man erstmal wieder hei?en Tee bzw. Kakao zu sch?tzen. Diese 4-t?gige Jeeptour war definitiv eines der Highlights meiner Reise und der Weg nach Tupiza hat sich auch gelohnt. Ein winzig kleiner Nachteil der Touren aus Tupiza ist, dass die Guides nur Spanisch sprechen. Und da meine beiden Mitfahrer null Spanisch sprachen, wurde ich mit meinen rudiment?ren Kenntnissen zum Dolmetscher. Aber das hatte wenigstens den Effekt, dass ich jegliche Hemmungen verloren habe, einfach drauf los zu stottern.

Von Uyuni bin ich zusammen mit der Japanerin mit dem Nachtbus nach La Paz im Norden des Landes gefahren. Mit einer H?he von 3200 bis 4100 m ist La Paz die h?chstgelegene Verwaltungshauptstadt der Welt. La Paz erstreckt sich über viele Hügel und über der Stadt thront der schneebedeckte 6400 m hohe Berg Illimani. Seit einigen Jahren gibt es hochmoderne Seilbahnlinien, die die einzelnen Stadtteile miteinander verbinden. Damit die Fahrt auch für die hügelaufw?rts lebende, arme Bev?lkerung erschwinglich ist, kostet eine Fahrt nur 3 Bolivianos (umgerechnet 40 Cent). Die letzte von den aktuell 10 Linien wurde erst im M?rz 2019 er?ffnet und vier weitere Linien sind geplant. Gebaut wurde die Seilbahn von dem ?sterreichischen Unternehmen Doppelmayr. Es ist wirklich ein komischer Anblick, eine Cholita mit ihren Eink?ufen im Tragetuch in so eine supermoderne Gondel einsteigen zu sehen! Ich bin auch noch nie zuvor mit einer Seilbahn so dicht über H?user hinweg geschwebt, dass man das Leben in den Hinterh?fen beobachten kann. In La Paz habe ich an mehreren walking tours teilgenommen, u.a. an einer food tour. Hier war ich mit dem Guide ganz allein unterwegs und habe mit ihm die Markthalle und drei verschiedene Restaurants besucht. Die bolivianische Küche besteht zum gr??ten Teil aus Kartoffeln (am besten 2-3 verschiedene Sorten in einem Gericht), Mais und Schweine- oder Rindfleisch. Gemüse gibt es so gut wie gar nicht. So haben wir zum Beispiel Pique macho (ein Haufen Pommes mit einem Haufen Rindergeschnetzteltem und Spiegelei) und Fritanga (gekochtes Schweinefleisch mit gebratenem Schweinefleisch mit Kartoffeln und Mais) gegessen. Als Vorspeise gab es ein d?ner?hnliches Chorizo Sandwich. Was ich aber wirklich lecker fand‘ waren Api und Anticucho. Api ist ein dickflüssiges Hei?getr?nk aus Mais mit Zimt und Nelken und Anticuchos sind gegrillte Rinderherzen, die meist von Gro?mütterchen auf der Stra?e gegrillt werden. Beides hab ich nach der Tour noch ?fter gegessen bzw. getrunken. Zuerst war mein Tourguide ziemlich schüchtern, aber nach jeweils einem Cocktail, Bier und Wein zu den einzelnen G?ngen wurde er lockerer, hat viel gekichert und wir hatten einen sehr sch?nen Abend.

La Paz ist sehr von der Aymara-Kultur gepr?gt. Eigentlich sind die Bolivianer sehr katholisch, aber die abergl?ubischen Rituale der Aymara spielen auch eine gro?e Rolle. So gibt es zum Beispiel einen Hexenmarkt, auf dem man alle m?glichen Talism?nner, Glücks- und Liebestr?nke oder Utensilien für einen Fluch kaufen kann. Au?erdem gibt es dort getrocknete Lama-Embryos und Baby-Lamas für Opfergaben zu kaufen. Wenn ein Bolivianer ein Haus bauen m?chte, muss er erst Pachamama, die Mutter Erde, um Erlaubnis fragen, um auf ihrem Boden bauen zu dürfen und dafür wird ein Baby-Lama geopert. Je nach Gr??e des Hauses wird dabei die Gr??e der Opfergabe gew?hlt. Es gibt die urbane Legende, dass für gro?e Bauprojekte wie Wolkenkratzer oder Brücken (oder Seilbahnen) Menschen geopfert wurden. Angeblich sollen dafür einsame Bettler ohne Freunde oder Familie mit Alkohol bet?ubt worden und dann in der Baustelle im Zement begraben worden sein. Für die Legende spr?chen angebliche Funde von menschlichen Skeletten im Fundament von abgerissenen Geb?uden. Ein weiterer skurriler Kult der Aymara dreht sich um Totensch?del als Glücksbringer – die ?atitas. Früher haben die Leute die Sch?del ihrer verstorbenen Familienmitglieder aus dem Grab entfernen lassen, um ihn zuhause auf einem Schrein im Wohnzimmer aufzubewahren. Heute gibt es einen inoffiziellen Markt auf dem Hauptfriedhof von La Paz: wenn ein Grab aufgel?st wird, verkaufen die Friedhofsmitarbeiter die Sch?del. Die Menschen glauben, dass eine ?atita zuhause der Familie Glück, Wohlstand, Gesundheit und Fruchtbarkeit beschert. Besonders begehrt und somit teuer sind ?atitas von ?rzten oder Juristen, je nachdem, ob man sich medizinische oder juristische Hilfe erhofft. Die ?atita muss allerdings t?glich mit Coca-Bl?ttern, Alkohol oder Softdrinks bei Laune gehalten werden, sonst verflucht sie das Haus. Ich konnte die Geschichte über die ?atitas kaum glauben. Aber noch w?hrend unser Guidebei der free walking tour auf dem Friedhof von La Paz davon erz?hlte, ging ein Friedhofsmitarbeiter mit einer Schubkarre an uns vorbei – und darin lag eine ?atita. Aber auch wenn man keine ?atita ersp?ht, ist der Friedhof wirklich sehenswert. Die Gr?ber sind horizontal übereinander angeordnet und jedes hat einen kleinen Glaskasten, wo die Angeh?rigen Dinge anordnen, die der Verstorbene mochte: haupts?chlich winzige Cola- oder Fantaflaschen und Coca-Bl?tter (die Bolivianer lieben einfach sü?e Getr?nke und Coca-Kauen!), aber auch Schmuck oder Modelle von Autos und Tieren.

Von La Paz ging es mit dem Bus weiter nach Arequipa in Peru, wo ich meine Mama getroffen habe, die für 4 Wochen mit mir durch Peru reisen würde. Weil ich nach drei Wochen in Bolivien die Nase voll von kalten N?chten hatte, habe ich vorher von La Paz noch einen Abstecher nach Coroico gemacht. Coroico ist ein hübsches Dorf, das zwischen der Hochebene des Altiplano und dem Amazonas und somit in subtropischem Klima liegt. Mit dem Minivan ging es für 2 h auf Serpentinenstra?en hinab ins 2000 m tiefer gelegene Coroico. Hier habe ich nicht wirklich was unternommen, sondern nur 2 Tage lang bei angenehmen 25°C in der H?ngematte gechillt.

Bolivien ist ein wirklich faszinierendes Land und hier habe ich zum ersten Mal auf meiner Reise das Südamerika gefunden, das ich mir vorgestellt habe. Au?erdem gibt Bolivien Hoffnung, denn im Gegensatz zum kriselnden Argentinien und Brasilien geht es hier bergauf. Seit 2006 ist der sozialistische Pr?sident Evo Morales an der Macht, der au?erdem der erste indigene Pr?sident des Landes ist. Bolivien geh?rte lange zu den ?rmsten L?ndern des Kontinents, aber unter Morales hat sich das monatliche Durchschnittseinkommen von 60$ auf 300$ gesteigert. Au?erdem wird in seiner Regierung viel Wert auf Bildung gelegt, u.a. dadurch dass jedem Schulkind j?hrlich ein neues Paar Schuhe gestellt wird, damit sie auch in den abgelegensten D?rfern zur Schule laufen k?nnen. Auch muss jetzt jedes Schulkind wieder eine indigene Sprache lernen. Insgesamt unternimmt er viel gegen die Diskriminierung der indigenen Bev?lkerungsgruppen, was wirklich eine tolle Entwicklung ist.

Rio de Janeiro

Mein Start in Rio de Janeiro war etwas holprig. Erstens war ich bei Ankunft am Flughafen ziemlich müde. Ich hatte den günstigsten Flug von Buenos Aires nach Rio gebucht, der um 5 Uhr morgens ging. Am Abend zuvor war ich mit meinem Spanischlehrer beim Folklore, einem traditionellen argentinischen Tanz der Inkakultur. Das war cool, allerdings habe ich mich ziemlich zum Deppen gemacht. Ich war die einzige Anf?ngerin und da mein Gefühl für Choreographie nicht wirklich existent ist, bin ich immer aus der Reihe gefallen – im wahrsten Sinne des Wortes. Und da ich au?erdem die einzige Ausl?nderin war, ist das natürlich auch aufgefallen. Jedenfalls war ich erst 1 Uhr im Bett und bin 2 Uhr wieder aufgestanden, um ein Taxi zum Flughafen zu nehmen. Der Flug ging ca. 5 h mit Zwischenstopp in Belo Horizonte und ich konnte zwar knapp 3 h schlafen, aber wirklich ausgeruht war ich bei Ankunft in Rio de Janeiro nicht, sodass mir die Bew?ltigung der bevorstehenden Krise umso schwerer fiel. Ich hatte zuvor alle meine argentinischen Pesos ausgegeben und wollte nun brasilianische Reales abheben. Nachdem meine Kreditkarte an den ersten drei Geldautomaten derselben Bank nicht akzeptiert wurde, war ich noch ganz zuversichtlich, immerhin hatte ich noch andere Karten. Aber ca. eine Stunde sp?ter, nachdem ich insgesamt 4 Karten (2 EC- und 2 Visakarten) an 7 verschiedenen Automaten von 3 Banken ausprobiert hatte, war ich ziemlich verzweifelt. Ich wusste nicht, woran es lag, denn die Automaten gaben alle verschiedene Fehlermeldungen an. Also beschloss ich meine Bank anzurufen. Einfacher gesagt, als getan. Mit meinem Handy konnte ich seltsamerweise keinen Anruf t?tigen und für die Nutzung der ?ffentlichen Telefone musste man eine Telefonkarte kaufen. Es dauerte nochmal 15 min, bis ich jemanden gefunden hatte, der mich sein Handy nutzen lie?. Die Kommunikation war n?mlich sehr schwierig, denn hier sprachen viele Leute weder Englisch noch Spanisch. Mit dem geliehenen Handy konnte ich die Bank aber auch nicht anrufen. Also hab ich WLAN gesucht und versucht, die Bank online zu kontaktieren. Im Chat wollten die Mitarbeiter allerdings keine vertraulichen Daten herausgeben, also blieb mir noch Skype. Nachdem ich mein Skype-Passwort ge?ndert hatte (das hatte ich natürlich vergessen) und best?tigt hatte, dass auch wirklich ich es bin, die sich in Brasilien einloggt, konnte ich endlich die Bank anrufen. Die Dame schaffte es lediglich mir meinen Kontostand zu nennen und mir zu sagen, dass ein Visa-Sperrmechanismus aktiviert worden sei, weil ich so viele Automaten ausprobiert hatte. Nach 5 min wurde die Leitung unterbochen, da ich kein Skype-Guthaben hatte. Also habe ich Guthaben aufgeladen und nochmal angerufen. Diesmal war ein s?chselnder Herr in der Leitung, dem ich mittlerweile echt genervt nochmal meine Situation geschildert habe. Daraufhin erz?hlte er mir in aller Seelenruhe das Gleiche wie die Dame zuvor und dass der Sperrmechanismus am folgenden Tag aufgehoben sein würde. Auf meinen Hinweis, dass ich jetzt am Flughafen sitzen würde und Geld für einen Bus oder Taxi brauchte, wiederholte er nur, dass morgen wieder alles funktionieren würde. Er k?nne den Sperrmechanismus nicht manuell aufheben. Arschloch! Die Leute von der Bank waren also nicht wirklich hilfreich. Da es aber ein Sicherheitsmechanismus von Visa war, legte ich meine ganze letzte Hoffnung in die EC-Karten. Zuvor hatte ich mit der EC-Karte nur kleine Betr?ge abzuheben versucht und ich errinnerte mich, dass die Dame in einem Nebensatz erw?hnt hatte, dass bei EC-Abhebungen ein Mindestbetrag von 50 galt. Also versuchte ich es nochmal mit 60 und das funktionierte! Ich h?tte vor Erleichterung heulen k?nnen. Aber ich hatte vorher schon zu viele Tr?nen vor Frust und Wut vergossen. All das kostete mich über 2 h und es war das erste Mal auf der Reise, dass ich mich allein und hilflos gefühlt habe und mir jemanden gewüscht h?tte, der mir mit seinem Handy, seiner Kreditkarte oder nur mit moralischem Beistand h?tte helfen k?nnen. Aber man lernt aus jeder Situation. Seitdem habe ich immer 100 US-Dollar dabei, die ich im Notfall tauschen kann.

Ich hatte für die ersten zwei N?chte ein Hostel im Stadtteil Ipanema ca. 100 Meter vom Strand entfernt gebucht, das jeden Abend für eine halbe Stunde kostenlose Caipirinhas anbot. Am Abend dieses katastrophal begonnenen Tages habe ich im Hostel ein paar sehr nette Argentinier kennen gelernt, mit denen ich nach der Caipirinha Happy Hour essen war. Hier habe ich Coxinhas für mich entdeckt, super leckere brasilianische H?hnchenkroketten, die ich in der folgenden Woche bei jeder Gelegenheit gegessen habe. Ipanema ist ein vornehmer Stadtteil von Rio, dessen wei?er Sandstrand bei den Reichen und Sch?nen beliebt ist. Sehen und Gesehen werde ist hier das Motto. Hier r?keln sich viele sch?ne Menschen in der Sonne, aber man sieht auch viel Silikon und Botox. ?berall in Rio ragen gro?e felsige Hügel empor und am Ipanema Beach hat man einen sch?nen Ausblick auf die Dois Irm?os (Zwei Brüder). Man kann hier ein paar sch?ne Stunden verbringen und wird auf den Liegestühlen günstig mit Caipirinhas und Kokosnüssen versorgt.

Am n?chsten Tag haben wir den benachbarten Copacabana Beach erkundet. Ich hatte vorher von anderen Reisenden geh?rt, dass der Copacabana Beach dreckig und überfüllt sei und in meinem Reiseführer wurde ausdrücklich vor Raubüberf?llen gewarnt. Es wurde empfohlen, entweder keine Wertsachen mit an den Strand zu nehmen oder sie in einer Plastiktüte am Strand zu vergraben. Jedenfalls bin ich mal wieder mit den schlimmsten Erwartungen und einem unbestimmten Angstgefühl dort angekommen und war froh, dass ich mit vier Jungs unterwegs war. Und wieder einmal waren diese Gefühle v?llig unbegründet! Ich fand den Copacabana Beach viel besser als den schicken Ipanema Beach. Ja, es war voll und laut, aber man konnte deutlich dieses positive brasilianische Lebensgefühl spüren. Die Cocktailbars übert?nten sich gegenseitig mit Sambamusik, alle m?glichen H?ndler riefen ihre Waren aus (zweimal wurde uns auch unter Früchten verstecktes Marihuana angeboten) und dazwischen spielten Leute Volleyball, tümmelten sich Surfer und spielten Jungs aus den Favelas Fu?ball. Ein Ort zum Entspannen ist zwar definiv nicht, aber ich habe auch keine einzige zwielichtige Gestalt erblickt.

In Rio f?llt eine starke Vermischung der Rassen auf, wobei eine klare Zuordnung zu Schwarz und Wei? oft nicht m?glich ist. Ca. 45% bezeichnen sich selbst als Wei?e, 45% als Mischlinge und 9% als Schwarze (ca. 1% Asiaten und Indios). Die Brasilianer selbst behaupten, dass Rasse in ihrer Gesellschaft keine Rolle spielen würde, aber ca. 70% der von Armut und Kriminalit?t Betroffenen sind Afrobrasilianer. Die Afrobrasilianer stammen von afrikanischen Sklaven ab, die im 16. Jhrd. vom kolonialen Mutterland Portugal importiert wurden, um auf den Zuckerrohrplantagen zu arbeiten (37% aller nach Amerika verschleppten Afrikaner wurden nach Brasilien gebracht). Brasilien schaffte die Sklaverei als letztes Land im Jahr 1888 ab. Die afrikanischen Einflüsse sind heute ein wichtiger Bestandteil der brasilianischen Kultur. Das heutige Nationalgericht – Feijoada – wurde von Sklaven erfunden. Feijoada ist ein Eintopf aus schwarzen Bohnen mit R?ucherwürstchen, Schweinefleisch, Nelken, Lorbeer, Knoblauch und Zwiebeln. Dazu isst man Reis, Farofa (ger?stetes Maniokmehl), gedünsteten Couve mineira (eine Art Grünkohl) und Orangenscheiben. Sehr lecker! Auch die Kampfkunst Capoeira wurde von afrikanischen Sklaven eingeführt. Usprünglich stammt Capoeira aus Angola. Der berühmte Samba beruht auch auf traditionellen afrikanischen Musikstilen.

In Rio de Janeiro habe ich wieder an einer free walking tour (einer auf Trinkgeldern basierten fu?l?ufigen Stadtführung) teilgenommen. Dabei haben wir das historische Stadtzentrum und den Stadtteil Lapa erkundet. Im Stadtzentrum findet man viele koloniale Bauten, u.a. den Palast, in dem der portugiesische Prinzregent Dom Jo?o mit seiner geisteskranken Mutter, der K?nigin Dona Maria I., von 1808 bis 1821 lebte. Die k?nigliche Familie floh vor dem sich ausbreitendem Einfluss Napoleons in Europa und damit war Brasilien die einzige Kolonie, in der jemals eine europ?ische k?nigliche Familie residierte. Unsere Stadtführerin hat uns witzige Anekdoten über „Maria, die Wahnsinnige“ erz?hlt, z.B. wie sie mehrfach nackt vom Platz vor dem Palast gesammelt werden musste. Heute glaubt man, dass die K?nigin an Alzheimer litt. Im Ausgehviertel Lapa liegt die berühmte bunte Treppe Escadaria Selaron, in welcher der chilenische Künstler Jorge Selarón über 2000 Kacheln aus aller Welt verarbeitet hat.

Obligatorische Sehenswürdigkeiten in Rio sind die Christusstatue Cristo Redentor („Christus der Erl?ser“) und der Aufstieg auf den Zuckerhut. Die Christusstatue ist eines der Sieben Modernen Weltwunder. Sie wurde zur 100-Jahr-Feier der brasilianischen Unabh?ngigkeit von einem franz?sischen Künstler entworfen, in Frankreich gebaut und in Stücken nach Rio de Janeiro transportiert (allein der Kopf bestand aus über 50 Teilen!). Wie sooft bei den gro?en Touristenattraktionen wird die Stimmung etwas durch die Menschenmassen getrübt. Aber es war trotzdem cool, die berühmte Statue aus der N?he zu sehen und die Aussicht über die dunstverhangenden Hügel von Rio war auch sch?n. Man kann den Zuckerhut zum Teil zu Fu? erklimmen, aber weil ich von der Klimaanlage im Schlafsaal etwas erk?ltet war, habe ich die Seilbahn genommen. Ich bin zum Sonnenuntergang auf den Gipfel gefahren und das war wirklich magisch! Zwar musste man auch hier die Touristenmassen ausblenden, aber die Aussicht über die Stadt war einfach wundersch?n. Die ganze Stadt lag zwischen den vielen Hügeln ausgebreitet, man hatte Aussicht über den Hafen und den Copacabana Beach und über alldem thronte der Christus.

Zusammen mit einer anderen alleinreisenden Deutschen habe ich das Künstlerviertel Santa Teresa erkundet. (?brigens habe ich festgestellt, dass es sich bei Alleinreisenden zu 70-80% um Frauen handelt. M?nner reisen meist mit ihrer Freundin oder mit einem Freund. Und viele dieser alleinreisenden Frauen kommen aus Deutschland.) Santa Teresa liegt auf einem Hügel über dem Zentrum von Rio und hat viele koloniale Villen und idyllische G?rten. Hier leben Künstler, Musiker und Hippies und man findet viele Bars, Museen und kulturelle Events. Das Viertel ist auch bekannt für seine „Bonde“ genannte Stra?enbahn. Die Bahn von Santa Teresa existiert bereits seit 1859 und man f?hrt vom Stadtzentrum aus über den historischen Aqu?dukt Arcos da Lapa ins Zentrum von Santa Teresa. Am Abend haben wir in einem brasilianischen Barbecue-Restaurant gegessen. ?blicherweise findet man in diesen Restaurants ein All-you-can-eat Beilagen-Buffet und die Kellner kommen mit ihren d?ner?hnlichen Grillspie?en von Tisch zu Tisch, wobei man mit grünen Go- und roten Stop-Karten seine Bereitschaft signalisieren kann. Hier haben wir uns mit Rinderrippen, Schwein, Lamm, Rind mit K?se, H?hnchen, H?hnchenherzen und Würsten vollgestopft.

Wahrscheinlich eines meiner beeindruckendsten Erlebnisse in Rio de Janeiro war die Tour durch eine Favela. Eine Favela ist eine „Gruppe von Behausungen auf illegal genutzen Grundstücken ohne Einverst?ndnis des Eigentümer“. Die ersten Favelas enstanden zum Ende der Sklaverei 1888, denn die freigelassenen Sklaven fanden keinen Platz in der Gesellschaft und gründeten ihre eigenen Siedlungen. Im Laufe des letzten Jahrhunderts, als tausende Bauern auf der Suche nach Arbeit in die gro?en St?dte zogen, wuchsen die Favelas stetig an. Die Stadtverwaltungen versuchten mehrfach, diese Siedlungen zu r?umen und überlie?en sie schlie?lich sich selbst. Angeblich gab es bis zu den 1980er Jahren kaum Kriminalit?t in den Favelas. In den 80er Jahren h?tten dann die Drogenbosse von Kolumbien begonnen, die Favelas in Brasilien für den Transport von Kokain nach Europa zu nutzen. Deren unübersichtliche Gassen und überv?lkerten H?user boten den perfekten Ort für ihre Gesch?fte. Wir haben die Favela Rocinha besucht, eine der gr??ten Favelas Brasiliens bzw. Südamerikas. Hier leben zwischen 100.000 und 250.000 Menschen (Sch?tzung der Bewohner). Die Blech- und Holzhütten sind mittlerweile mehr oder weniger stabilen kleinen Steinh?usern gewichen und die Bewohner haben seit den 1990er Jahren Zugang zu Elektrizit?t, Wasser und einer t?glichen Müllabfuhr. Dies sei aber angeblich nicht aus Humanit?t seitens der Stadtverwaltung erfolgt, sondern weil die Abw?sser die hügelabw?rts lebenden Reichen gest?rt h?tten. Tats?chlich ist es erstaunlich, wie dicht Armut und Reichtum beieinander leben. Direkt vor den Toren Rocinhas (die mit schwer bewaffneten Polizisten bewacht wurden) lagen imposante, verbarrikadierte Villen und eine teure amerikanische Privatschule. Laut unseres Tourguides leben in Rocinha nur 800 bis 1.000 Drogenh?ndler, demnach seien mindestens 99% der Bewohner „normale Bürger“, wobei Drogenbanden die Kontrolle über die Favela h?tten. Unser Tourveranstalter versicherte uns, dass es in mehr als 25 Jahren nie einen Zwischenfall bei der Tour gegeben habe und ermutigte uns, Handys und Kameras offen zu tragen. Und tats?chlich habe ich mich zu keinem Zeitpunkt unsicher gefühlt. Die Bewohner l?chelten freundlich, grü?ten und gingen ihrem Tagesgesch?ft nach. Allerdings haben wir uns nur in den gr??eren Stra?en bewegt, die Gassen sollte man meiden. Im Rahmen der Fu?ballweltmeisterschaft und der Olympischen Spiele wurde Rocinha von mehr als 1.000 Polizisten und Soldaten gestürmt und für einige Jahre behielt die Polizei die Kontrolle über die Favela. Jetzt sei Rocinha jedoch wieder in der Macht von drei rivalisierenden Drogenbanden, da das Polizeiaufgebot aus finanziellen Gründen reduziert wurde und wegen korrupter Polizeibeamter. Davon merkt man jedoch als Besucher nichts. Rocinha wirkt wie ein ganz normaler (?rmlicher) Stadtteil mit Schulen, amulanten Kliniken und einer Anbindung an Buslinien. Es gibt sogar ein von der Regierung gestiftetes Sportzentrum, in dem alle Bewohner von Rocinha kostenlos an verschiedenen Sportkursen teilnehmen k?nnen, u.a. Capoeira. Der Lehrer, der Kindern aus Rocinha diese Kampfkunst beibringt, war ein sehr positiver und motivierter junger Mann. Er hat sich selbst mit englischen Serien ein ziemlich gutes Englisch beigebracht und reist dieses Jahr nach Italien, um dort drei Monate Capoeira zu unterrichten. Wirklich toll, wie Sport jungen engagierten Menschen den Weg aus der Favela hinaus in die Welt erm?glicht.

Am Abend unserer Favelatour hatten wir ein sehr interessantes Gespr?ch mit einem Ex-Soldaten. Er h?rte, wie wir einer anderen Reisenden von unseren positiven Eindrücken in Rocinha erz?hlten und berichtete uns von seinen Erfahrungen dort. Seiner Meinung nach h?tten wir gro?es Glück gehabt, nicht in einer Schie?erei zwischen den drei rivalisierenden Drogenbanden gelandet zu sein. Er war dabei, als die brasilianische Armee 2017 in Rocinha eingerückt ist und wurde dabei von einem ca. 15-j?hrigen Drogendealer angeschossen, den er daraufhin erschoss. Wir unterhielten uns mindestens 2 Stunden mit ihm und sprachen auch über die aktuelle politische Situation, insbesondere über Brasiliens neuen rechtsextremen Pr?sidenten Jair Bolsonar, der immer wieder mit Kommentaren gegen Schwarze, Indigene, Frauen und Homosexuelle auffiel. So forderte er zum Beispiel den ?rmsten Teil der Bev?lkerung sterilisieren zu lassen, den Indigenen ihre Reservate wegzunehmen und sagte zu einer Parlamentskollegin, sie sei es nicht wert, von ihm vergewaltigt zu werden. Als Ex-Milit?r gilt er als Verherrlicher von Brasiliens Milit?rdiktatur (1864 bis 1985) und von Folter und Gewalt. Erst im Mai hat er Brasiliens Waffengestze gelockert. Unser Gespr?chspartner war ziemlich rechts eingestellt und es war interessant, wie er Bolsanars Kommentare und Aktionen rechtfertigte. Aber als jemand, der gezwungen war, einen 15-J?hrigen zu erschie?en, muss man wahrscheinlich davon überzeugt sein, dass die Drogendealer der Favelas ihr Schicksal selbst gew?hlt haben. Auch unterstützt man dann Bolsanars Vorhaben, dass Polizisten nicht juristisch verfolgt werden k?nnen, wenn sie Verd?chtige erschie?en.

Rio de Janeiro ist mit seinen wei?en Sandstr?nden, den steilen grünen Bergen und tiefblauem Meer schon ein sehr hübsches Fleckchen der Erde. Die Lebensfreude der Bewohner und die portugiesisch-afrikanische Kultur tragen au?erdem zum Charme dieser tropischen Metropole bei. Ich hoffe, ich komme irgendwann noch einmal mit mehr Zeit und weniger Angst hierher zurück.